Anlässlich eines interessanten Austausches mit unseren ForschungskollegInnen am Institut für Medizinische Psychologie in Heidelberg zum Handlungskompetenzbegriff in Beratung und Therapie fiel mir dieser Blogbeitrag wieder ein, der seit einiger Zeit als Entwurf sein Dasein in der WordPress-Zwischenwelt auf dem Server fristet.
Als Wissenschaftler, der sich mit Handlungskompetenz befasst, wird man ja zu allerlei Veranstaltungen eingeladen – Vorträge auf wissenschaftlichen Tagungen, Beratungsrunden in der Politik und natürlich auch von Organisationen der professionellen Handlungspraxis wie der Sozialen Arbeit und verwandten Domänen.
Immer wird der gleiche Begriff ventiliert – Kompetenz, bzw. Handlungskompetenz. Es ist dabei logisch, dass diese Rede sich seit den Schulleistungsstudien und dem Bologna-Prozess vermehrt hat – sowohl PISA und Co. als auch die europaweite Hochschulreform stellen auf den Kompetenzbegriff ab.
Nur auf den ersten Blick geht es dabei um einen ähnlichen Gebrauch der Begriffe, bei näherer Betrachtung tun sich doch eher Differenzen auf – quasi drei unterschiedliche Seiten einer Medaille. Systemtheoretisch betrachtet geht es dabei um drei unterschiedliche Funktionen, über die die Kommunikation in Wissenschaft, professioneller Praxis und Politik entlang des Kompetenzbegriffes eingerichtet wird: Die Politik, hier in ihrer Spezialisierung als Bildungspolitik, stellt auf die Allokationsfunktion des Kompetenzbegriffes ab. Im Zuge der Output orientierten Steuerung des Bildungssystems hat die Rede um Kompetenzen die bisherigen Instrumente wie Noten und Zeugnisse stark erweitert – nun kann man durch PISA z.B. von RisikoschülerInnen sprechen (deren Allokation auf dem Arbeitsmarkt damit als problematisch codiert wird), in der beruflichen Bildung und Weiterbildung kompetenzorientierte Qualifikationsrahmen (wie den DQR und den EQR) initiieren oder im Hochschulbereich Studiengänge entlang kompetenzorientierter Beschreibungen vergleichbar darstellen.
Ganz anders die Wissenschaft: Deren Verflechtung bei den Schulleistungsstudien (und auch durch das “Erwachsenen-PISA“ PIAAC) mit der Politik ist zwar nicht von der Hand zu weisen, trotzdem hat der Kompetenzbegriff hier eine andere Funktion. Er wurde hier schon wesentlich früher, nämlich von Heinrich Roth, in die wissenschaftliche Debatte der Erziehungswissenschaft eingebracht. Es geht in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Handlungskompetenz dabei nicht um Allokation, sondern um Exploration und Deskription – also der Erforschung und Beschreibung dessen, was Menschen in komplexen Situationen handlungsfähig macht. Aus diesem Grund sind wissenschaftliche Kompetenzmodelle in der Regel sehr verschieden von den Stufenmodellen der Politik, auch wenn die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien bisweilen in solche Kompetenzraster überführt werden. Wer allerdings schon einmal den Weg differenziert und psychometrisch korrekt erhobener Daten hin zu den übersimplifizierten Bundesligatabellen der PISA-Debatte verfolgt hat ahnt, welche inhaltliche Reduktion und sprachliche Recodierungsmühe (und Lust) hinter einem solchen Transformationsprozess steckt.
Und schließlich gibt es die professionelle Handlungspraxis in Form von Verbänden und anderen dort tätigen AkteurInnen. Hier erfüllt der Kompetenzbegriff vor allem eine Legitimationsfunktion. Dies macht Sinn – denn die Tage, in denen das klassische Professionsmodell der Medizin, der Juristerei und der Theologie in Anschlag zu bringen war, sind gezählt. Der Kompetenzbegriff dient hier als neue Legitimationsformel, dass Fachkräfte können, was sie dürfen. Oder dürfen, was sie können sollen, je nach Lesart.
Spannende Dinge geschehen nun immer dann, wenn diese unterschiedlichen Funktionen gleichzeitig adressiert werden. Das kann dann bereichernd, aber eben auch verstörend sein – weshalb ich im Sinne einer solchen konstruktiven und anregenden Verstörung im Rahmen der Bildungsdebatte den Kompetenzbegriff sehr schätze. So kommt beispielsweise in unseren Studien zur beraterischen Handlungskompetenz heraus, dass man aus Sicht der Wissenschaft keinesfalls von einem berufsqualifizierenden Abschluss auf BA-Niveau sprechen kann, wenn man Kompetenzen nicht in Form ausgestellter Scheine, sondern in ihrer eigentlichen Definition misst (weshalb an dieser Stelle der Dissens sich auch nicht auf einen naturalistischen Fehlschluss reduzieren lässt). Nicht alle, die am Ende des Studiums dürfen, können auch. Das war schon immer so, es wird aber sehr viel deutlicher, wenn man den Kompetenzbegriff ernst nimmt. Ganz ähnlich ist es dann mit der “Querverrechnung” innerhalb der Kompetenzstandards wie EQR und DQR – bei genauerer Betrachtung erscheinen dann wieder Differenzen, die zu produktiven Auseinandersetzungen entlang der Unterscheidung „vergleichbar, aber nicht gleich“ anregen.
Es wäre zu wünschen, dass solche Diskussionen anhalten – Wissenschaft, Praxis und Politik können von diesen Debatten sehr profitieren. So bleibt Kompetenz dann nicht nur „ein großes Versprechen“, wie Rainer Treptow dies treffend formuliert, zumal diese Debatten regelmäßig auf Grundfragen von Bildung rückverweisen und eben nicht nur auf eine unterkomplex verstandene Form von Handlungsbefähigung.