Für die wissenschaftliche Freiheit marschiert? Nachlese zum March for Science aus der Perspektive der empirischen Sozialwissenschaften

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Nun ist er also seit ein paar Tagen um, der March for Science. Ganz bestimmt ist es gut, wenn sich die gesamte Scientific Community (gibt´s die als solche?) wehrt gegen Hohlwelttheoretiker, Klimaleugner, Kreationisten und andere verblendete Zeitgenossen, die Fakten nicht vom eigenen Wunschdenken unterscheiden können und mit der vernebelten Differenz zwischen Wollen und Wissen häufig auch noch Politik machen möchten. Relativ spärlich war im globalen Aktionismus zur Bewahrung wissenschaftlicher Freiheit die Stimme der Sozialwissenschaften zu vernehmen. Ein Grund hierfür liegt wahrscheinlich in der Tatsache begründet, dass in der Sphäre der Naturwissenschaften der Unfug “alternativer Fakten” am deutlichsten aufzeigbar ist. Beispielsweise lassen sich die potentiellen Fehlermargen von Messungen und Hochrechnungen bezüglich der globalen Erwärmung mit etwas Geduld im Experten-Laien-Dialog durchaus so vermitteln, dass auch Nichtwissenschaftler erkennen können, das manches (z.B. genaue Werte des berechneten Anstieges)  diskutiert werden kann und muss, anderes aber (dass es eine globale Erwärmung gibt) bis auf weiteres als Faktum zu akzeptieren ist.

Etwas anders sieht es in den empirischen Sozialwissenschaften aus. Viel mehr als in den Naturwissenschaften sind hier verwendete Methoden, gewonnene Ergebnisse und die Interpretation von Befunden an ihre eigenen sozialhistorischen Bedingungen geknüpft. Theorien, die Fragebogenstudien, Interview- und Beobachtungsuntersuchungen zu Grunde liegen, sind weitaus vergänglicher als Leitkonzepte in den Naturwissenschaften. Mehr noch: Sie sind erst überhaupt richtig zu verstehen, wenn die Analyse und Reflexion ihrer Genese beständig bis zu einem gewissen Punkt immer mitläuft. Das macht an dieser Stelle den Dialog zwischen Sozialwissenschaftlern und Laien bedeutend schwerer als in den Naturwissenschaften. Wer beispielsweise über Bildungsprozesse forscht, dem ist beständig klar, dass ein gemessener Kompetenzwert im Sinne einer reflexiven Erziehungswissenschaft nur zu verstehen ist wenn man weiß, was vor Bologna, Pisa und Co war, was aktuell der Fall ist und antizipiert, dass es zukünftig wieder anders sein könnte mit dem, was mit Bildung gemeint ist. Das entwertet nicht den Wert von empirischen Untersuchungen in den Sozialwissenschaften an sich, erhöht aber die Komplexität in der Frage der Beurteilung, was eine kritische empirische Sozialwissenschaft leisten muss – und auch kann. In der richtigen Dosis zwischen der mutigen Darstellung vorläufig gewonnener und zumindest intersubjektiv nachvollziehbarer Ergebnisse und ihrer kritischen Würdigung liegt die Kunst produktiver empirischer Sozialwissenschaft. Die Entgleisung dieses Dilemmas ist nach beiden Seiten möglich und leider auch beobachtbar: Die Verschärfung der Kritik gegenüber empirischen Methoden zur totalen Forschungsfeindlichkeit einerseits sowie die flappsige Verallgemeinerung schlampig gemachter Studien und nicht offen gelegter Verfahren und Zwischenergebnisse andererseits. An beiden Extrempolen lauert dann jeweils eine antiwissenschaftliche Ideologie: In nicht wenigen Fällen wird die übertriebene Darstellung von Mess- und Erfassungsproblemen zur Legitimation, auch in der Wissenschaft das Wissen durch Wollen zu ersetzen oder aber – am anderen Ende – nicht belastbare Studien für die Durchsetzung der eigenen Meinung überzustrapazieren. Prominente Beispiele sind Fragen der Gestaltung des Schulsystems, des Arbeitsmarktes oder die Inklusionsdebatte.

Gerade die Sozialwissenschaften müssten angesichts einer Protestbewegung zur Wahrung wissenschaftlicher Freiheit also auch schauen, wer in den eigenen Reihen vielleicht unter falschem Vorzeichen mitmarschiert und die Rede über die Wissenschaftsfreiheit zum Hochwertwort für eigene ideologische Zwecke instrumentalisiert.

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