Die Beschäftigung mit komplexen (‘real world’) Fragen bringt Diskurse schnell an den Punkt, an dem nach Inter- und Transdisziplinarität in Forschung und Entwicklung gerufen wird. Das klingt dann nicht nur schick, sondern soll das praktische Problem lösen, dass Einzeldisziplinen oft keine befriedigende Sicht auf komplexe wissenschaftliche und praktische Fragen entfalten können. Sind Disziplinen deshalb in Bereichen, in denen es hauptsächlich darum geht, genau solche Probleme methodisch gestützt zu lösen, obsolet geworden? Natürlich nicht, und das lässt sich gerade mit dem oft gebrauchten Begriff der Transdisziplinarität zeigen. Er ist, durchdenkt man ihn genau, auch gar nicht neu, oder präziser: Vielleicht ist der Begriff relativ neu, das Phänomen aber nicht. Universitäten und später Hochschulen für angewandte Wissenschaften waren schon immer transdisziplinär strukturiert. Transdisziplinarität bedeutet nämlich zunächst nichts anderes, als dass nicht nur Einzeldisziplinen, sondern auch Akteure außerhalb des Wissenschaftssystems mit an der Konstruktion und Lösung einer Fragestellung zusammenarbeiten. Hochschulen mit gegebener Öffnung und Kontakten zu gesellschaftlich relevanten Fragen und Akteuren waren also schon immer transdisziplinär.
Fragen in der Sozialen Arbeit sind beispielsweise per se transdisziplinäre Fragestellungen, aber auch in anderen, eher naturwissenschaftlich und gestalterisch bearbeiteten Domänen lässt sich Transdisziplinarität finden, z. B. in Fragen der Sorge um die Umwelt, der Nachhaltigkeit, der Architektur, der inklusiven Stadtplanung etc.
Wie genau die Zusammenarbeit der verschiedenen Beteiligten aus wissenschaftlicher Einzeldisziplinen und der außerwissenschaftlichen Akteure gedacht und gestaltet wird, dazu gibt es unterschiedliche Transdisziplinaritätsmodelle, die z.B. den Schwerpunkt eher auf der gemeinsamen Problemkonstruktion, Problembearbeitung oder Dissemination der Ergebnisse (oft in Gestalt des strapazierten Begriffes der Third Mission) haben.
Entscheidend ist aber: Transdisziplinär forschen und entwickeln kann nur, wer disziplinär denken gelernt hat. Disziplinen und ihre geordneten Diskurse sind – trotz ihres beständigen Wandels – die absolut notwendigen Erkenntniswerkzeuge für angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Transdisziplinarität kann als Problembearbeitungskonzept vorgestellt und gelehrt werden, entstehen wird sie nur als gelebte Praxis disziplinär gebildeter Subjekte. Diese können dann, im Anschluß und im Diskurs untereinander eine, wie Mittelstraß dies ausdrückt, transdisziplinäre Optik realisieren.
Wer sich z.B. für Bildung interessiert, muss Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft als Disziplin studieren – mit sich dann einstellenden Verzweigungsfragen z.B. zur Disziplin der Psychologie oder der Soziologie, wenn es um kognitive oder gesellschaftliche Bedingungen von Lernen und Bildungsorganisation geht.
Erst nach einer solchen durchlaufenen akademisch-disziplinären Professionalisierungsphase – ein BA wird dazu meist gar nicht ausreichen – ergibt es Sinn, transdisziplinär zu handeln.
Eine pseudotransdisziplinäre Lehre in Form von Studienprogrammen, in denen Einzeldisziplinen zunehmend verschwinden oder durch vermeintlich neue Summierungsdisziplinen ersetzt werden, erzeugt also nur eines: Ungeordnetes Viertel- und Halbwissen und bisweilen Verweiflung aufseiten der Studierenden, die doch erwarten können, dass ihr Curriculum bewährte Entwicklungsgesetze der Wissensbildung berücksichtigt.
Lieber Marc, wie verträgt sich diese Position mit Deiner Auffassung (ich habe Dich jedenfalls im Gespräch so verstanden), dass es sinnvoll wäre, Lehre in Hochschulen der sozialen Arbeit an Handlungsdomänen entlang zu organisieren (oder Modalitäten pädagogischen Handelns) wie Beraten, Lehren, etc. und den \”deutschen Sonderweg\” der streng nach Disziplinen geordneten Lehre in den Handlungswissenschaften aufzugeben?
Liebe Ute,
die Domäne ist der durch einen konkreten Gegenstand aufgespannte Sinn- und Bezugsrahmen, in dem die erwähnte Wissensintegration stattfinden soll. Sie ist dann dort eindeutig verortet und muss nicht in immer neue „Sonderdisziplinen“ verpackt werden.
Lieber Herr Weinhardt,
danke für diesen spannenden Beitrag! Diese Ansicht wird ja in der Forschung zu TD nicht immer vertreten…
Vielleicht unterhalten wir uns mal darüber?
Herzliche Grüße,
Kristina Pelikan