Vor etwas mehr als einer Dekade hat sich ein neuer Diskurs um die Akademisierung von Personal entwickelt, das für die Erziehungs- und Bildungsaufgaben im Elementarbereich zuständig ist. Das schlechte Abschneiden bei PISA und der Drang zur Akademisierung von Berufen, die bisher an Fachschulen gelehrt wurden (neben den ErzieherInnen auch KrankenpflegerInnen), haben damals ein neues Sprechen über die Bedeutung frühkindlicher Lern- und Bildungsprozesse geformt. Dieser intensivierte Diskurs war sicherlich politisch unausweichlich, aber in der Sache doch auch geboten – schließlich gibt es keinen ernsthaften Grund, eine wichtige Lebensphase menschlicher Existenz in Punkto Bildung und Erziehung handlungswissenschaftlich unbestellt zu lassen. Viel gute Forschung und daraus resultierendes Wissen lag schon vor, noch mehr sollte folgen, und nun brauchte es einen Container, um das schemenhaft am Horizont auftauchende akademische Berufsfeld zu benennen.
Der/die KindheitspädagogIn war geboren, bald auch mit staatlicher Anerkennung auf Empfehlung (nicht: Anweisung und Regulierung, übrigens) des Familienministeriums. Soweit, so gut – es schien ziemlich überzeugend möglich, passende Wissensbestände zu einem Curriculum zusammen zu fügen, das zumindest eine hohe Augenscheinvalidität verspricht: Ein guter Mix aus erziehungswissenschaftlicher Theorie zu Lernen und Bildung, Entwicklungspsychologie, ein wenig Medizin, Soziologie, um Institutionen und Organisationen von Kindheit(en) zu verstehen, Recht und Verwaltung – prima soweit. Allerdings, etwas curricular geschulten LeserInnen wird die Aufzählung wenig innovativ vorkommen. Denn, richtig, es sind auch die akademischen Bestandteile eines Sozialpädagogikstudiums, natürlich fokussiert auf die Lebensphase Kindheit. Die Kindheit wird dabei meist großzügig ausgelegt, in der Regel bis 18, denn das sagt die UN-Kinderrechtskonvention. Es handelt sich also um ein Sozialpädagogikstudium mit Schwerpunkt Kindheit und Jugend und den zugehörigen Institutionen und Organisationen.
Es wäre nun aus Sicht von Wissensbildungsprozessen auf personaler und organisationaler Ebene gar nichts daran auszusetzen, von KindheitspädagogInnen als Beruf zu sprechen.
Allerdings scheint die “Szene” gerade einen fulminanten Fehler zu machen: Sie beginnt, sich selbst als Profession zu thematisieren und will dabei gleich noch eine akademische Disziplin miterfinden – so wie es Medizin, Theologie und Juristerei vermeintlich vormachen. Dabei geht sie in der Sache unlogisch und gesichertes Wissen ignorierend vor, denn: Sie durchläuft dabei alle Fallen, in die die Soziale Arbeit bereits getappt ist, wenn eine diffuse, lebensweltlich gegebene Aufgabe (hier: Erziehung und Bildung) in einen vermeintlichen Spezialjob, der NUR von Fachleuten einer bestimmten Profession zu erledigen sein soll, umgedeutet wird. Von einer klassischen Profession der Kindheitspädagogik – egal welche Professionstheorie man anlegt – kann nämlich gar keine Rede sein: Es gibt kein exklusives Sonderwissen, und schon gar keinen gesellschaftlich legitimierten Alleinzugriff auf die Sache Kindheit(en), der KindheitspädagogInnen zugestanden werden könnte. Um dies zu verdeutlichen, kann man die gesamte, im Prinzip als abgeschlossen geltende Debatte um den Nicht-Professionsstatus Sozialer Arbeit als argumentatives Lehrstück heranziehen:
- das Versteifen auf (Kinder)rechte: Kinderrechte und ihre pädagogische Durchsetzung im Alltag, so könnte man meinen, begründen ein Alleinstellungsmerkmal, auf das KindheitspädagogInnen sich zurückziehen können. Ein Irrtum, denn für Rechte ist die Profession der Juristerei zuständig, und es hat schon für die Soziale Arbeit mit der wahnwitzigen Idee des Besetzens einer Menschenrechtsprofession nicht geklappt, einem helfenden Beruf mit Bezug auf die Deutungsmacht von Recht zur Bedeutungsaufwertung zu verhelfen. So kommt man hier mit der Idee von KindheitspädagogInnen als halbierte oder geviertelte JuristInnen im pädagogischen Alltagsdress heraus (ein Schicksal, das die Jugendgerichtshilfe in der Sozialen Arbeit bis heute in manchen Sichtweisen ertragen muss).
- Spezialisierung auf kindliche Entwicklung und Wohlbefinden: In diesen Themenbereichen hausen schon die Medizin und die Psychologie, und wer sich hier als vermeintlich neue, hauptzuständige Instanz positioniert, landet bei den hübschen Grafiken der Über- und Unterordnung von “Hilfs- und Hauptwissenschaften” – das hat in der Sozialen Arbeit zu lustigen Bildern geführt, in denen sie sich selbst prominent in der Mitte platziert und dabei die Erfahrung machen musste, dass solche multiprofessionellen Platzierungen von anderen Disziplinen und Professionen allenfalls als unterhaltsames Mandala belächelt werden. Dass die Erziehungswissenschaft und die aus ihr entstehenden sozial- und kindheitspädagogischen Praxen es oft tatsächlich besser wissen als die manchmal arg verkürzten Ansätze der Medizin und Psychologie ist davon unbenommen, wird aber auf dem Weg des Beharrens auf einer eigenen Semiprofession nur die eigene Marginalisierung erzeugen – wie es in der Sozialen Arbeit (den Ausweg aus dem Dilemma gibt es, keine Sorge, am Ende des Blogposts) auch geschehen ist.
- Das alleinige Verstehen kindlicher Lebenswelten: Aber nein, hier wohnt seit Jahren die soziologische Kindheitsforschung, macht ihren Job mit gut definierten interdisziplinären Schnittstellen sehr ordentlich, und in der Regel sind spezialisierte ForscherInnen ganz und gar nicht automatisch auch gute PraktikerInnen. Übertreibt man diese wissenschaftliche Beobachtungsfunktion und schreibt ihr noch eine gleichzeitig gar nicht einlösbare Handlungsbefähigung zu, so kommt man mit der – gerne auch angelsächsisch aufgeladenen Idee – von angewandten Childhood Studies heraus, die in Anlehnung an eine ideologisch überzogene “kritische” Soziale Arbeit jene furchterregenden post-post-postmodernen Texte über Kind(heiten)
Kind(heiten) Kind(heiten)fabrizieren, von denen man nicht weiß, ob sie als post-strukturelle Lanzen den Leser pieksen sollen oder als gewaltige Balken im Auge der TextproduzentInnen selbstgelesen missverstanden zwangsgedeutetwerden müssen.
Nein, nein, die Sache ist so einfach wie unspektakulär. Wir sollten von Professionalisierung und Professionalität anstatt von Professionen sprechen, denn diese lösen sich in der reflexiven Moderne nach und nach auf bzw. lassen sich auch mit erhöhtem Aufwand nicht mehr neu etablieren – die klassischen Drei (Medizin, Theologie, Juristerei) können ein Lied davon singen, das Stichweh in seinem grundlegenden und als klassisch geltenden Text “Professionen in einer funktional differenzierten Gesellschaft” 1996 schon zielsicher vorgesummt und angesichts seiner 2002er Kommentierung nochmals argumentativ bekräftigt hat.
Gut ist also, dass der Bereich der frühen Bildung und Erziehung sich akademisiert. Gut ist, dass mehr, auch inter- und transdisziplinär, zu Kindheit(en) geforscht wird. Gut ist, dass daraus ein neues Berufsfeld mit sich professionalisierenden Fachkräften entsteht, die akademisches Wissen aus unterschiedlichen Disziplinen durch kompetentes Handeln in der Praxis fruchtbar machen. Eine solche Synthese- und Übersetzungsleistung ist Produkt gelingender akademischer Bildungsprozesse dieser Fachkräfte. Und diese notwendige Synthese kann nur auf der Ebene sich bildender Fachkräfte selbst, die die für die Kindheitspädagogik relevanten Disziplinen studieren, gelingen – und nicht durch die uneinlösbare Erfindung einer eigenständigen Profession und Einheitsdisziplin, die für immer auf der Ebene (wissenschafts)politischen Symbolhandelns verbleiben müssten. Die inhärenten Widersprüche die z.B. aus berechtigter Gesellschaftskritik zur Gestalt von Kindheit(en) einerseits und der Notwendigkeit zu pädagogischem Handeln andererseits entstehen, lassen sich nicht beheben, indem ein pseudokonkreter Wissenskorpus mit exklusivem Professionszug geschaffen wird. Mit dieser Erfindung würde bezogen auf Wissen und Bildung ein doppelter Verrat an der Sache begangen: Gegenüber den Kindern, und gegenüber den sich bildenden Fachkräften, denn Antinomien pädagogischen Handelns bleiben hier verdeckt und werden als Entwicklungsimpulse allen an der Bildung und Erziehung beteiligten vorenthalten. Disziplinär studieren und später transdisziplinär kompetent handeln scheint mir auch hier die Devise zu sein.
Falsch ist es also, von einer Profession der Kindheitspädagogik zu sprechen – bevor ein solches Gespenst ernsthaft in die Welt gesetzt wird und sofort zum professionstheoretischen Sterben verurteilt wäre, sollten sich erziehungswissenschaftliche KollegInnen (und natürlich auch KollegInnen anderer Disziplinen) darauf besinnen, dass die Ausdifferenzierung disziplinären Wissens nie zum Etablieren echter neuer Professionen in der reflexiven Moderne geführt hat. Wohl aber zu neuen Berufsfeldern und Berufen, in denen professionelles Handeln entwickelt werden kann. In diesem Sinne ist es erfreulich und aufschlussreich, dass die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft ihr disziplinäres Wächteramt ernst nimmt – und hoffentlich auch zukünftig in ihrer Sektion 8 die Sozialpädagogik und die Pädagogik der frühen Kindheit beisammenhält.