Lessons learned? Einige der Erkenntnisse sind für mich unmittelbar handlungsleitend, andere werfen die typischen weiterführenden Fragen explorativer Studien auf und es macht Spaß, diesen Gedanken in der essayistischen Freiform einer Blogpublikation nachgehen zu können.
Wichtig scheint mir, bei der Bilanzierung zunächst Fragen der Repräsentativität zu thematisieren. Die Untersuchung war als Feldstudie unter den aktuellen Praxisbedingungen zwangsdigitaler Lehre konzipiert. Sie wäre in dieserweiterlesen
Was passiert eigentlich genau mit dem Wissen in den Köpfen, wenn Fachkräfte eine Beratungsweiterbildung absolvieren und übend-praktizierend tätig sind? Unsere WSBT-Studie (Wissensbildung in der systemischen Beratung und Therapie) hat in der ersten Projektphase (Artikel als Open Access hier) hierzu schon spannende Ergebnisse geliefert die zeigen, dass der Wissenserwerb in der systemischen Beratung so verläuft wie in anderen komplexen Tätigkeiten auch. Das klingt zunächst nach einem unspektakulären Befund, ist aber deshalb brisant, weil Fragen zur Kompetenzentstehung bei Beratungsfachkräften generell wenig untersucht sind. Bezogen auf Weiterbildungswirkungsforschung können sie als nahezu unerforscht gelten. Das ist umso problematischer, als dass in der Beratungs- und Therapieforschung seit einiger Zeit eine Trendwende eingesetzt hat: Wesentlich stärker als bisher steht das Beratungshandeln von mehr oder weniger kompetenten Fachkräften im Fokus, und weniger die Beforschung einzelner Techniken und Methoden, wie sie in der vergleichenden Beratungs- und Therapieforschung lange Zeit üblich war. Daraus folgt, dass mit diesem Trend auch neue Formen der Erforschung von Wissensbildungsprozessen entwickelt werden müssen – wozu unsere Studie einen wichtigen Beitrag leistet. Wir freuen uns deshalb sehr, dass die DGSF die Förderung der zweiten Projektphase genehmigt hat und wir in bewährter Manier mit den bereits erhobenen Daten weiterarbeiten können. Während in der ersten Auswertung der beschreibende Überblick in der Erstauswertung im Fokus stand, können wir nun mit den gesamten Raffinessen der multivariaten Statistik Zusammenhängen in den Daten nachgehen – gut, dass wir mit BildungsforscherInnen vernetzt sind, die gemeinsam mit uns Antworten zu diesen Fragen suchen.
Uiiii – was hab´ ich denn da gemacht?” – so oder ähnlich klingt es oft in der BeraLab-Supervision, in der angehende systemische BeraterInnen ihre videographierten Gespräche, die sie mit ausgebildeten SchauspielerInnen in einer nachgebauten psychosozialen Beratungsstelle durchgeführt haben, minutiös in kleinen Gruppen analysieren und daraus gezielt ihr höchst individuelles Vorgehen für die weiteren Lernschritte konstruieren. Das “Uiiii” ist dabei ganz unterschiedlich gemeint – anerkennend, wenn deutlich wird, was schon gut klappt, verwundernd, wenn etwas ganz anders in der Videodatei erscheint als in der Erinnerung und manchmal auch skeptisch, wenn es Unzufriedenheit mit dem eigenen Beratungsverhalten gibt. Der Fokus ist dabei aber immer ressourcenorientiert und entwicklungsfördernd. Das muss so sein, weil man erstens nur aus Fehlern lernen kann, wenn man sie vor allem als Information und nicht zum Anlass fremd- und selbstzerstörerischen Grübelns nutzt und zweitens ein Beratungsverfahren, dass Menschen zu mehr Autonomie und einem guten Leben verhelfen soll, selbstverständlich in seiner eigenen Lehrtheorie enthalten sein muss.
Weg vom Fall – hin zum eigenen Lernen, das ist die Essenz eines Supervisionsvorgehens, das sich aus dem Programm einer subjektorientierten Professionalisierung naturwüchsig ergibt. Damit wird Supervision vornehmlich zum Lern- und Bildungsort und weniger zum Instrument von Qualitätssicherung für die Fallarbeit. Wobei gerade in dieser Umkehr regelmäßig zu beobachten ist, dass die Fallarbeit durch diese Fokusverschiebung besser wird – weil der latente Stress zur Optimierung von Beratungsprozessen von den Beteiligten weggenommen wird und die Energie auf einen anderen Fall umgeleitet wird: Das eigene Lernen.
Das fällt im BeraLab natürlich besonders leicht und ist einer der Gründe, weshalb wir es überhaupt haben: Ohne ethische Probleme kann hier ausprobiert und routinisiert werden, was sich viele LernerInnen mit echten Fällen zurecht oder unrecht verkneifen. Das sind – je nach der aktuellen Entwicklungsaufgabe – ganz unterschiedliche Dinge: Mehr Schweigen, mehr Reden, mehr Fragen, weniger Fragen, andere Fragen, mehr Konfrontation, mehr empathisches Mitschwingen, das Ausprobieren komplexer Interventionstechniken etc. – natürlich immer gerahmt durch die Erfordernisse des jeweils zum Gegenstand gemachten BeraLab-Gespräches. So wird durch intensiv durchdachte Einzelfälle mehr und mehr die je höchst individuelle Professionalisierungsgestalt deutlich, die einzelne LernernInnen entwickeln, die zu ihnen passt und mit der sie wirksam werden. Schließlich gibt es gerade im systemischen Denken kein standardisiertes Vorgehensmodell, sondern einerseits Heuristiken, die sich aus den Theorien großer Reichweite ableiten (z.B. “sei neutral, zirkulär denkend und ressourcenorientiert”) und dann wieder Theorieelemente kleiner Reichweite, die, wenn sie nicht in einem übergeordneten Bildungsprozess integriert werden, rezeptologisch und damit unwirksam bleiben. Gleichwohl muss man letztere gerade am Anfang rezeptologisch nutzen, um überhaupt die Welt- und Menschensicht der systemischen Beratung erfahrbar zu machen, dann aber mit steigender Professionalisierung darüber hinwegsteigen, so wie man eine Leiter, oben angekommen, nicht mehr braucht und auch nicht mehr über die einzelnen Sprossen und den zugehörigen Bewegungsvorgang des Hochsteigens nachdenken muss (wer´s mag: Wittgenstein lässt grüßen, natürlich…).
Neben der BeraLab-Supervision sind in der letzten Zeit viele weitere didaktische Zugänge zu subjektorientierter Professionalisierung und ein Rahmenmodell entstanden (und ein Buch, erscheint im April bei Vandenhoek und Ruprecht in Jochen Schweitzers Reihe), auf dessen weitere Anwendung und Fortschreibung ich mich freue. Ehrlich gesagt könnte ich mich tagelang mit BeraLab-Supervision und anderen subjektorientierten Bildungsformaten beschäftigen – hier verbindet sich auf faszinierende Weise Hochabstraktion, konkretes Vorgehen und der individuelle Bildungsprozess. Eine Art von Akademisierung von Beratung, in der Theorie, Handeln und Reflexion im besten Sinne verbunden werden. Denke ich das weiter, komme ich auf spannende Ideen was die Zukunft von Weiterbildung und Hochschullehre in den Humanities betrifft – Flowerleben häufig garantiert 🙂 .