Welche Digitalisierung braucht Soziale Arbeit?

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Digitalisierung in der Sozialen Arbeit: Bisher randständiges Thema. Foto: geralt/Pixabay, CC0

Seit Verabschiedung des Koalitionsvertrages ist die Digitalisierung in aller Munde. Und wie mit jedem politisch geadelten Plastikwort ergeht es auch diesem Begriff: Er wird überinklusiv für alles benutzt, was irgendwie mit Daten, Internet, Hard- oder Software zu tun hat. Also streng genommen für die ganze Welt des 21. Jahrhunderts. Aus diesem kapazitiven Bedeutungsüberschuss der Digitalisierung entsteht genauso viel Sinn wie Unsinn, auch und gerade in der Sozialen Arbeit, die sich bis heute durch eine gewissen Technikferne auszeichnet.

Welche Digitalisierung aber braucht Soziale Arbeit eigentlich? In einem 2019 erscheinenden Beitrag in einem Sammelband zu diesem Thema gibt es Antworten, aber einige kann ich schon vorwegnehmen: Digitalisierung in der Sozialen Arbeit ist zunächst einmal Medienbildung und Gestaltung kulturellen Wandels. Das gilt für ihre Fachkräfte und für ihre Adressatinnen und Adressaten. Dabei ist mehr gemeint, als sich in den Optionen ubiquitärer Medien nicht zu verlieren und ein Smartphone bedienen zu können. Für Fachkräfte geht es dabei vor allem um konzeptionelles Wissen – also wie sich, gemessen an den Ansprüchen Sozialer Arbeit, digitale Medien sinnvoll zur Verbesserung und Erweiterung ihrer Angebote nutzen lassen. Das klingt einfach, aber bis heute ist es so, dass Digitalisierung nur vereinzelt im Studium Sozialer Arbeit vorkommt. Und wenn, dann geht es um Wissensvermittlung über bereits vorhandener Dienste und Angebote, z.B. zum Thema Onlineberatung oder den Einsatz von Dokumentationssoftware im Rahmen der Jugendamtsarbeit. Das ist ein guter Anfang, negiert aber die Tatsache, dass diese Dienste nicht mehr als innovativ gelten und somit auch nicht in ihrer exemplarischen Darreichungsform für die Vermittlung des gr0ßen Problems einer hoch kontingenten digitalen Zukunft taugen. Für das Beispiel Onlineberatung und Falldokumentation heißt das: Vermittelt werden muss nicht nur der Korpus an bereits gut etablierten methodischen und technischen Verfahrensweisen, sondern auch: Was bedeutet eigentlich Affective Computing für die Soziale Arbeit? Wo kann eine KI hier unterstützen, wo ist sie hinderlich? Was passiert beispielsweise konkret, wenn eine KI mit dem synergetischen Navigationssystem gekoppelt wird und daraus möglicherweise weitaus präzisere Vorhersagedaten als bisher entstehen? Wie ist damit umzugehen, dass menschliche Fachkräfte in Teilen oder ganz in der Onlineberatung möglicherweise ersetzbar sind? Will man das? Welche ethischen Probleme ergeben sich daraus?

Abseits dieser thematischen Spezialfragen sind aber auch auch die Anschlüsse der Digitalisierungsdebatte an Großtheorien Sozialer Arbeit bisher gar nicht benannt, geschweige denn ausgearbeitet. Was bedeutet beispielsweise das Internet der Dinge für das Konzept der Lebensweltorientierung? Wie muss der Sozialraumdiskurs erweitert werden, wenn es um den Einbezug des Internets mit seiner entörtlichten und entzeitlichten Logik geht?

Soziale Arbeit braucht für diese Fragen Fachkräfte, die Antworten aus der Sozialen Arbeit selbst heraus entwickeln. Sonst läuft sie wieder einmal Gefahr, dass sie ihre Themen später manageriell und fachfremd aufbereitet wiederfindet und sich, ähnlich wie in der Dienstleistungs- und Ökonomisierungsdebatte, nur noch reaktiv dazu verhalten kann. Digitalisierung bedeutet für Soziale Arbeit vor allem, einen bereits stattfindenden kulturellen Wandel als solchen zu erkennen und mitzugestalten und die damit einhergehenden Veränderungen vor allem als Pluralisierung und Modernisierung von Kulturtechniken zu begreifen, die Bestandteil der Lebenswelt von Fachkräften und Adressat*innen sind. Dies umfasst die gesamte Spannweite von Lehre und Forschung in der Sozialen Arbeit bis hin zu ihren zukünftig auch vermehrt digitalen Diensten und Arbeitsabläufen.

Erst wenn dies begriffen ist, kann es um Software und Hardware gehen. Die viel beschworene App oder neue Dienste sind, wenn man erst einmal weiß, warum und für was man sie möchte, im Rahmen von Design Thinking weitaus rascher und prozesshaft passend entwickelt als in der derzeitigen Rezeption von Digitalisierung als beständige Hard- und Softwareinnovation suggeriert wird. Vorher aber steht das intensive Denken, Reflektieren und kreativ sein. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass es für die Bedürfnisse Sozialer Arbeit derzeit eher zu viel als zu wenig bereits bestehende Technologien gibt – die sie noch gar nicht nutzt.

Soziale Arbeit wird also eine Digitalisierungsdebatte benötigen, die das Thema entlang ihren eigenen Erfordernisse entwickelt und sie vor allem als kulturellen Wandel von Bildungs- und Bewältigungsoptionen begreift.

 

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