Soziale Arbeit lehren und lernen: eine didaktische Leerstelle?

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Es ist ein wenig seltsam: Soziale Arbeit besitzt eine ernstzunehmende Geschichte der Professionalisierung. Ernstzunehmend in dem Sinne, als dass diese Geschichte einen bis heute andauernden Diskurs in Gang gesetzt hat. Die großen und kleinen Krisen in dieser Entwicklung (z.B. im Kontext des Psychobooms oder der Dienstleistungsdebatte) markieren dabei zentrale Probleme, stellen aber die Bedeutung der Sache nicht in Frage. Es gibt nur wenige konzeptionelle Zuspitzungen, die Soziale Arbeit per se für überhaupt nicht professionalisierbar erklären oder schon die Notwendigkeit hierzu abstreiten. Fraglich ist also nur, welche Anteile Sozialer Arbeit in welchem Maße und auf welche Art fachlich entwickelt werden können. Neben institutionellen und konzeptionellen Aspekten sind hier sicherlich die Fachkräfte zentral – als Personen und bezüglich ihres Wissens und Könnens. Das ist ein Allgemeinplatz, und umso verwunderter bin ich immer wieder, wie wenig sich Soziale Arbeit systematisch mit der Vermittlung ihrer selbst in Hinblick auf die Fachkräfte beschäftigt – also didaktische Fragen bearbeitet.

Im Rahmen einer Supervision eines multiprofessionellen Teams hat sich in diesem Punkt bei mir eine Episode besonders eingeprägt. Im Team sind drei SozialpädagogInnen (aus unterschiedlichen Hochschulorten und Hochschularten), eine Psychologin und eine Medizinerin mit Beratung befasst. Das Team ist heterogen bezogen auf die Berufserfahrung – von NovizInnen bis zu wirklich alten HäsInnen reicht die Bandbreite. Entlang des Falles, der eine besondere Herausforderung darstellte, entspann sich die Frage, “wann man eigentlich was könne”, was man sich – z.B. als Novize – schon zumuten soll und darf und so weiter. Zum Nachdenken hat mich in diesem Punkt gebracht, dass die Medizinerin und die Psychologin ad hoc diese Frage zum Anlass nahmen, um eine theoriegestützte Reflexion ihrer beruflichen Entwicklung vorzunehmen. In diesem Fall entlang des Modells von Dreyfus & Dreyfus (1980), was aus der Sicht einer Medizinerin oder Psychologin logisch erscheint, aber nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass es weitere Modelle gibt. Wir kamen auf spannende Punkte – stufenartige versus kontinuierliche Entwicklungskonzepte, die Beschaffenheit von Expertise und Kompetenz, die Frage nach Flowerleben im Ausüben und Erlernen von Beratung etc. Den SozialpädagogInnen war diese Art des Nachdenkens fremd – obwohl gerade diese drei KollegInnen theoretisch und konzeptionell sehr bewandert sind.

Trotz des episodischen Charakters stecken in dieser Begebenheit für mich wichtige Fragen. Wie kommt es, dass eine Disziplin und Profession, die stark auf personenorientierte Erbringung ihrer Angebote und Konzepte wie Lernen und Bildung abstellt, das Lernen und die Bildung der eigenen Fachkräfte nicht verstärkt in den Blick nimmt? Die Brisanz dieser Frage lässt sich leicht an einigen Indikatoren zeigen: Schilling (2013) führt in seiner Bestandsaufnahme lediglich vier Monografien zu Didaktik Sozialer Arbeit/Sozialpädagogik auf, es gibt (im Gegensatz zur Lehrerbildung) keine Lehrstühle oder Forschungszentren, die sich explizit mit SozialarbeiterInnenbildung befassen, in Texten zu Handlungsorientierung und Methoden bleibt das Thema der Vermittlung ebenfalls blass – es finden sich dann bestenfalls mikrodidaktische Bewältigungsversuche wie Fallbeispiele mit zugehörigen Fragen etc. Generell ist es ja seltsam mit den Methodenlehrbüchern – sie haben an vielen (Aus)Bildungsorten von Professionellen den Charakter gebots- und verbotsgesteuerter Bückware.

Ganz anders sieht dies in einer Handlungswissenschaft aus, bei deren Nennung als Vergleichsmaßstab und analytischer Kontrastfall viele KollegInnen die Luft zwischen den Zähnen einziehen: der Medizin. Auch sie ist Handlungswissenschaft, hat ebenso das Problem, dass die mehr oder weniger gesicherten Wissensbestände durch das Nadelöhr personengebundener Expertise hindurch erbracht werden müssen. Hier gibt es sie aber – Lehrstühle, Forschungszentren und in letzter Zeit ganze Modellstudiengänge, die das Thema der (Aus)Bildung wissenschaftlich gebildeter Praktiker mit hoher Innovationskraft reformulieren und bearbeiten. Lernen am Fall, Lernen in Simulationsumgebungen entlang didaktisch festgelegter, theoriebasierter Arrangements – davon könnte Soziale Arbeit viel lernen. Warum existiert eigentlich noch kein Modellstudiengang Soziale Arbeit, in dem – ähnlich wie bei den KollegInnen an der Charité – die Hochschulwoche mit einem realen Fall beginnt, entlang dessen dann die relevanten Wissens- und Könnensbestände gelehrt und angeeignet werden?

Bezogen auf Beratung ließe sich das leicht herstellen, denn im Gegensatz zu vielen anderen Angeboten Sozialer Arbeit müsste man nicht den gesamten Alltag verdoppeln um ihn zugänglich zu machen. Entlang von echten Fällen (z.B. in einer Ambulanz) und gut gemachten Simulationen ließe sich dann überprüfen, ob und welche Vor- und Nachteile solche Vermittlungs- und Bildungsformen hätten.

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