Das ist ein von euch eingeforderter Blogbeitrag – mich haben nun einige Mails erreicht mit der Bitte, die stellenweise abstrakten und sehr forschungsbasierten Artikel zur Gestaltung von Professionalisierungsprozessen in der Sozialen Arbeit durch einen „handfesten“ Blogbeitrag zu ergänzen. Einige scheint auch zu interessieren, weshalb unser MA Psychosoziale Beratung eine Warteliste hat. Ich bemühe mich also, das mal aufzuschreiben, es wird also noch etwas essayistischer als bisher. Aber das ist ja streng genommen auch Sinn des Bloggens. Ich schreibe im Folgenden über sozialwissenschaftliche Studiengänge – vieles wird sich aber auf andere Domänen übertragen lassen. Und etwas undidaktisch erlaube ich mir auch, auf allfällige Fehler und Fallstricke hinzuweisen. Es wird ja einen Grund haben, dass viele Weiterbildungsstudiengänge vor sich hindümpeln.
Bolognareform verstehen und konkretisieren
Gut gemachte Weiterbildungsstudiengänge zeigen, dass die Verantwortlichen die Bolognareform und die durch sie ausgelösten Veränderungen von Bildungspraxis verstanden haben. Konkret bedeutet das: Weiterbildungsstudiengänge sind in handlungswissenschaftlichen Feldern wie der Sozialen Arbeit aus Sicht der Studierenden zunächst Studienangebote, und keine bloßen Weiterbildungsangebote. BA-Studierende bemerken in der Regel recht schnell, dass die Berufsbefähigung auf BA-Niveau ein politisches Zweckversprechen ist. Dieses Erkennen spielt sich – das ist für Bologna eine kennzeichnende und oft desillusionierende Erfahrung – im Feld ab, denn die Berufseinmündung ist schon erfolgt. Damit konstelliert sich eine große Klarheit darin, was sich Studierende von einem MA versprechen. Wenn sie in der Praxis Sozialer Arbeit bleiben wollen, sind das theoretisch gesättigte Handlungskompetenzen, die sowohl jenseits rezeptologischer Vereinfachungen von Methodenschulungen („Lernen Sie Beratungsverfahren XY an vier Wochenenden!“) als auch weltfremder Theorieklimmzüge („Reflektieren Sie Ihre Praxis im intersektional-materialistisch-kritisch-systemtheoretisch gerahmten Zugriff und werden Sie Forscher*in!“) zu liegen kommen. Damit werden berufsbegleitende Weiterbildungsstudiengänge das Mittel der Wahl für sehr viel mehr Studierende, als die Hochschullandschaft bisher denkt. Diese Chancen werden an vielen Standorten und von vielen Kolleg*innen gar nicht gesehen – für Wissenschaftler*innen in grundständigen Studiengängen endet die Welt in der Regel im konsekutiven zweiten Zyklus der Bolognareform.
Akademisierung fördern, Handlungskompetenzerwerb ermöglichen
Folgt man dem Weg der Entscheidungslogik, finden sich in Weiterbildungsstudiengängen also Bewerber*innen ein, die (a) hoch motiviert sind (auf den monetären Aspekt der Sache komme ich gleich noch) und (b) sich auf einem Kontinuum des Bildungsinteresses zwischen reiner Handlungsbefähigung und reinem Theorieinteresse irgendwo in der Mitte verorten. Ich frage meine Studierenden übrigens oft nach dieser Positionierung bzw. mache eine kleine soziometrische Aufstellung dazu – so wird die Vielzahl an Standpunkten deutlich und auch deren Veränderung (wenn man die Soziometrie mehrmals im Studienverlauf nutzt). Hier zeigt sich dann auch gleich die hohe Subjektgebundenheit, denn jeder Standort ist unterschiedlich begründet. Die Einheit der Differenz ist dabei aber immer der Handlungsbezug und das Interesse an einer verbesserten Praxis im Rahmen eines berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiums. Und dieses Kontinuum ist eben konstitutiv: Unabhängig von ihrer Positionierung sind Studierende dann enttäuscht oder finden einen Weiterbildungsstudiengang unattraktiv, wenn eine Anbiederung an bloße Handlungsroutinen oder aber eine Entgleisung in irrelevante Theoriegefilde erfolgt. Für das Personal bedeutet das mehr als in grundständigen Studiengängen: Wer lehrt, muss es selbst können, egal ob es um Forschung oder Methodenbefähigung geht. Neben dieser personengebundenen Befähigungsseite gibt es auch den zugehörigen organisationalen Aspekt: Hochschulen, die Weiterbildungsmaster anbieten wollen, müssen für das notwendige Personal sorgen, das sich nicht automatisch aus dem Pool der Lehrenden speisen kann, die im grundständigen Bereich lehren. Die Erfahrung in einem gut laufenden Weiterbildungsmaster zu lehren ist wiederum für viele dieser Kolleg*innen eine bereichernde Erfahrung. Aber, dazu braucht man erst einmal einen gut laufenden Weiterbildungs-MA :-).
Spezifische Lern- und Organisationsbedürfnisse ernst nehmen
Als logische Konsequenz entsteht aus dem bisher Gesagten ein recht klar beschreibbares Anforderungsbündel, das durch den spezifisch ökonomischen Aspekt von Weiterbildungsstudiengängen forciert sichtbar wird. Die Landeshochschulgesetze fordern nämlich, dass Weiterbildungsstudiengänge nur dann angeboten werden können, wenn sie kostendeckend bewirtschaftet sind. Damit ist gemeint: Es darf keine Kannibalisierung von Stellen aus grundständigen Studiengängen geben – Weiterbildung auf Kosten staatlich finanzierter, konsekutiver Studienangebote geht nicht, und diese Vorgabe macht ganz sicher bildungspolitisch Sinn. Studierende werden in gewisser Weise damit zu Kund*innen einer Dienstleistung, die mit Zahlungen in beträchtlicher Höhe einhergeht, gemessen daran, was sonst ein Studium kostet – in der Regel fallen Beträge im Tausender- bis Zehntausenderbereich für einen Weiterbildungsmaster an. Zusammen mit der Tatsache, dass als zweites Gebot der Hochschulgesetze Weiterbildungsstudierende berufstätig sein müssen, müssen bestimmte Grundanforderungen erfüllt sein, die in grundständigen Studiengängen regelmäßig unterschritten werden und unterschritten werden können: Schlecht beplante oder ausgestattete Räume (in denen sich Weiterbildungsstudierende oft blockweise oder ganztägig aufhalten müssen), eine unzuverlässige Planung und wenig zugewandte Dozierende und Mitarbeiter*innen lassen sich in grundständigen Studiengängen eher verschmerzen. Dann fällt eben einmal ein 90Minüter auch kurzfristig aus – grundständige Studierende legen hier meist eine Mischung aus Freude über eine unerwartete Cafépause und Gelassenheit mit der Erfahrung, dass so etwas eben vorkommt, an den Tag. Für Weiterbildungsstudierende bedeutet das aber, dass (Bildungs)Urlaub, Überstunden oder sonstige mühsam gewonnenen Zeit umsonst verplant wurden. Zu kurz greift hier übrigens das Argument einiger Kolleg*innen, hier würde man nur den neoliberalen Ausverkauf des Bildungsgedankens in der Sozialfigur frustrierter Lernkund*innen erkennen. Wichtig ist, dass Lehrende und Verwaltungsmitarbeiter*innen die spezifischen Bedürfnisse kennen und ernst nehmen – und dass das auch die Organisation einer Hochschule tut. Gut laufende Weiterbildungsstudiengänge erfordern, sich ein Stück weit auf eine Zwei-Welten-Kultur einzulassen, die es produktiv zu gestalten gilt. Ich empfehle an dieser Stelle immer den mit Studiengangentwicklungsarbeit Betrauten, sich entlang des Kano-Modells einmal zu überlegen, wie es mit den Studiengängen bestellt ist. Ein gut laufender Weiterbildungsmaster hat neben der erwartbaren, verlässlichen Basisqualität immer auch mindestens ein Begeisterungsmerkmal.
Weiterbildungsstudiengänge sind keine Gelddruckmaschinen
Obwohl der Gesetzgeber fordert, dass Weiterbildungsstudiengänge kostendeckend oder gar nicht zu bewirtschaften sind, sind sie trotzdem in eigentümlicherweise unerreichbar für profitorientiertes Denken. Für den Überschlag der Kostendeckung benötigt man kein BWL-Studium, das schaffen Weiterbildungsstudierende auch so. Sie wissen damit auch viel besser als Studierende in grundständigen Studiengängen, ob sie das bekommen, wofür bezahlt wird. Da die intrinsische Motivation der Studierenden und der notwendige Einsatz auf Seiten der Lehrenden hoch ist, skalieren solche Studiengänge nicht beliebig. Vergrößerungs- und Gewinnoptimierungsgelüste führen regelmäßig beobachtbar zu Verschlechterungen des Angebotes und damit zum Rückgang an Interessent*innen. Apropos Interessent*innen: Wer allzu viele bunte Werbeflyer und sonstige Marketingmechanismen braucht, macht etwas falsch. Gut geführte Weiterbildungsmaster bewerben sich selbst durch Multiplikation in den jeweiligen Communities, schlecht laufende finden dort ihr natürliches Ende. Hier gelten tatsächlich ein Stück weit Gesetze des Marktes – Mechanismen, die in grundständigen sozialwissenschaftlichen Studiengängen derzeit weitgehend unbekannt sind. Dort können aufgrund der in den letzten Jahren gestiegenen Studierendenzahlen und der eher knapp bemessenen Hochschulpaktausbauplanung Studienplätze aufgrund von Verknappungseffekten noch weitgehend unabhängig von der Qualitätsanmutung gefüllt werden.
Erfolgskriterien
Was sind also Erfolgskriterien guter Weiterbildungsstudiengänge? Zunächst einmal das regelmäßige Zustandekommen – nicht wenige dieser Studiengänge dümpeln bundesweit in einem Zombiestatus herum: Ab und an kommt ein Jahrgang knapp zustande, dann wieder nicht. Nimmt man ernst, dass mit der Inanspruchnahme sich Anforderungskonfigurationen der Praxis zeigen, muss man das so lesen, dass der Inhalt nicht passt oder die Form misslungen ist.
Auf zwei weitere Indikatoren weise ich Studierende und Kolleg*innen aber auch immer gerne hin: Die Abbruchquote und die Abschlussquote. Wer eine nicht unbeträchtliche Menge an Geld investiert und das Studium dennoch abbricht, hat dieses Geld versenkt. Aber auch wer das Programm formal zu Ende studiert, aber letztendlich die Abschlussarbeit und damit den akademischen Abschluss verfehlt oder als ewige Student*in herumäandert, hat eine solche Fehlinvestition getätigt – denn die Zertifikate aus einzelnen Modulen lassen sich in der Regel günstiger und organisational einfacher als im Rahmen eines Studiums erlangen.
Ein Studium muss, gerade wenn es berufsbegleitend angelegt ist, ein Studium bleiben – und kein bloßes Weiterbildungsangebot. Dafür gibt es die Klasse der Micro- und Nanodegrees.
Die Beschäftigung mit der faszinierenden Verknüpfung von Handlungspraxis und Theorien unterschiedlicher Reichweite auf der Basis des bereits erfahrungsangereicherten, personengebundenen Handelns der Studierenden macht den Reiz der Sache aus. So verstanden sind Weiterbildungsstudiengänge alleine aufgrund dieser Form ein wertvolles Bildungsangebot in der Sozialen Arbeit – für Studierende, für die Praxis und für die Hochschulen. Und nebenbei gesagt: Auch für die Wissenschaft selbst, denn manche wirklich innovative Forschungsfrage ist entstanden, weil jemand mit genügend intellektuellem Hubraum bei erhaltenem Handlungsbezug ein bedeutsames Problem der Praxis erkannt und als Forschungsfrage, die anschlussfähig an das Wissenschaftssystem ist, reformuliert hat. Auch dafür ist die Wissensbasis, die sich in einem gut gemachten Weiterbildungsmaster herausdestilliert, ein prima Ausgangspunkt – nicht wenige unserer Absolvent*innen denken nach dem Studium über eine Dissertation nach.
Und schließlich: Das alles darf nun nicht so gelesen werden, dass konsekutive Studiengänge obsolet sind. Ganz im Gegenteil, sie werden weiterhin die Normalform bleiben und das auch mit guten Gründen (dazu schreiben ich auch mal was). Lediglich der etwas stiefmütterliche und an manchen Orten schlicht merkwürdige Umgang mit wissenschaftlicher Weiterbildung könnte konstruktiv verändert werden.