Vier Monate papierlos als Experiment: Geht gut, auch in der Wissenschaft.

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Papierlos publizieren: Ein Tablet zum Schreiben, eines zum Lesen.

Vor einiger Zeit ist ein für mich wichtiges Experiment zu Ende gegangen: Ich habe in meinem Forschungssemester konsequent versucht, auf Papier zu verzichten. Die Wahl auf das Forschungssemester fiel dabei deshalb, weil ich diese Zeit an einem meiner abgelegenen Lieblingsplätze verbracht habe und es dort schlicht keine greifbare IT-Infrastruktur gibt – Gewohnheitsänderungen klappen ja immer dann am besten, wenn man gar keine Möglichkeit hat, in alte Muster zu kippen. Da außer meinen Lehrveranstaltungen alles wie gehabt weiter ging, herrschten ansonsten die üblichen Bedingungen einer Professur: Klausuren und Abschlussarbeiten korrigieren, an Meetings teilnehmen und natürlich Daten auswerten und Publikationen erstellen. Ich war also schon im Vorfeld herausgefordert, mir etwas zu überlegen.

Abschlussarbeiten korrigieren: Neben dem stattlichen Papierverbrauch auch eine sportliche Transportaufgabe.

Und siehe da, meine Hochschule war viel “digitaler” als ich das dachte und mit findigen Kolleg*innen aus der Verwaltung konnte ich für jede Anforderung eine datenschutzkonforme Lösung finden, die ohne Ausdrucke auskommt und die 3281 km zwischen Darmstadt und meinem Inselparadies überwinden konnte. Beim handschriftlichen Korrigieren von Klausursätzen ist mir dabei aufgefallen, dass ich mich sogar intensiver als durch die Papierform mit den Antworten meiner Student*innen befassen konnte – aus dem schlichten Grund, weil ich auf einem Scan viel leichter Bemerkungen hinkritzeln, ergänzen und löschen kann als auf den Originalklausurbögen.

Gegen zu viel Druck: Scannen, aber richtig schnell.

Weitaus gespannter war ich, wie das mit dem Schreiben gehen würde. Schließlich gehört das Lesen dazu, und in meinem Arbeitsstil ist Schreiben und Lesen zudem eng verknüpft. Ich schlage ständig in der Originalliteratur etwas nach und arbeite nur selten mit fertigen Exzerpten, die erlauben würden, ohne die ursprünglichen Texte auszukommen. Vermutlich ist dieser Stil aber bereits eine Folge meiner schon seit längerem vorgenommenen Umstellung auf eine digitale Bibliothek, zu der mir mein Lieblingsgadget verhilft: Ein wirklich schneller Buchscanner, der durchsuchbare (!) *.pdfs erzeugt, so dass ich wiederum auf diesen kritzeln kann, ohne ein Originalbuch zu beschädigen. Allerdings ist dieses Projekt noch lange nicht fertig, so dass der völlige Verzicht auf Bücher und Zeitschriften wirklich neu war und der Scanner vor dem Abflug einige Wochen heiß gelaufen ist.

Forschungsdaten – auch die sind bequemer papierlos zu transportieren.

Ein weiterer Punkt war, dass ich bei der Datenanalyse in empirischen Studien immer noch mit reichlich Papier arbeite – sowohl die Inaugenscheinnahme von quantitativen Daten als auch Interviewtexte oder Fotographien aus ethnographischen Studien habe ich, so musste ich festellen, gerne auf Papier, das mir dann – der Habitus zeigt sich vor allem in der Krise – mangels Drucker wirklich fehlte. Das war mir – entscheidendes Learning aus meinem Experiment – vorher gar nicht so bewusst, denn eigentlich schleppe ich ständig das iPad pro mit Stift herum. Aber auch diese Umstellung ging dann gut und es war interessant, über Daten auch einmal an ganz ungewöhnlichen Orten nachzudenken statt nur am heimischen Schreibtisch – das zweite Learning war nämlich, dass mir auffiel, dass Ausdrucke von Forschungsdaten den Schreibtisch nie verlassen, das iPad aber schon.

Und, was kam nun raus, am Ende? Es hat super geklappt, unter dem Aspekt von Nachhaltigkeit hat sich mir durch das Fehlen der Papierberge eindrücklich erschlossen, wie viele Ressourcen wir im täglichen Wissenschaftsalltag einsparen könnten: Klausuren und Abschlussarbeiten kann man gleich elektronisch erstellen – sie sind ja typische Einweg-Produkte, die nur sehr selten mehrmals gelesen werden. Für das aus meiner Sicht notwendige handschriftliche Arbeiten (hilft beim Denken!) stehen bereits seit längerer Zeit ausgereifte Geräte zur Verfügung.

Die Arbeit an meiner digitalen Bibliothek werde ich konsequent fortsetzen. Geblieben ist dabei übrigens die Gewohnheit, dass es sich nur dann natürlich anfühlt, wenn ich zwei iPads konsequent nutze: Eines zum Lesen, eines zum Schreiben. Das Hin- und Herswitchen zwischen Lese- und Schreibapp auf einem Gerät taugt wirklich nur als Notlösung.

Und schließlich – ein bisschen Gerätefetischismus muss dann doch sein – habe ich über das Expertiment auch gelernt, dass ich ohne ein ultraportables Tablet mit langer Laufzeit, großem Bildschirm, Stifteingabe und wirklich viel, viel Rechenleistung nicht mehr auskomme. Es ersetzt dann aber nicht nur den Block und alle anderen Arten von Papier, sondern zu 90% auch noch den Desktoprechner.

Und obwohl mein Experiment um ist, bemerke ich doch, dass viele neue Gewohnheiten geblieben sind. Ich drucke viel, viel weniger und habe trotzdem immer alles dabei – das ist fein.

PS: Wer mehr über konkrete Herangehensweisen zum papierlosen Büro erfahren will, ist bei Lars Bobach gut aufgehoben – ich habe von seinen Tipps stark profitiert.



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