Nun ist es um, ein weiteres digitales Sommersemester, das hybrid geplant und letztendlich doch digital realisiert wurde. Wie die pandemischen Semester zuvor habe ich wieder viel gelernt, und unter anderem auch, wie Forschung und Lehre unter diesen Bedingungen in einer handlungsorientierten Sozialwissenschaft funktionieren können. Einem forschungsorientierten Masterseminar, zu dem ich schon gebloggt habe, war das Thema Digitalität thematisch aufgegeben, sodass uns hier die Verschränkung von Form und Inhalt die ganzen Monate begleitet hat.
Von den Ergebnissen bin ich sehr begeistert und immer noch sehr nachdenklich über die Frage, was von der digitalen Lehre und dem digitalen Miteinander in den hoffentlich im Wintersemester startenden (Teil)präsenzbetrieb übernommen werden kann. Ich hatte aus meiner Sicht außerordentlich motivierte Studierendengruppen in meinen Lehrveranstaltungen – das lag sicher an der gemeinsam entwickelten Haltung “noch einmal so, dann wird es wieder besser” sowie an den mittlerweile vorhandenen Routinen im Umgang mit digitalen Dingen. Mir hat diese spürbare Routine viele Freiheiten ermöglicht – ich bin ohne Spezialapps wie fancy Whiteboards, Abstimmungstools oder ähnlichem ausgekommen und konnte mich mehr denn je auf Inhalte konzentrieren. Gemeinsam gedacht haben wir in unserem Forschungsseminar oft in einem Mix aus Zoomsession und schriftlicher Echtzeitkommunikation auf einem Etherpad – oft mit bis zu 30 Studierenden gleichzeitig und mit großem Erfolg und einer Klarheit in der Kommunikation und beim Schärfen von Fragen, die ich sonst oft vermisse. So konnten wir in für mich erstaunlich kurzer Zeit komplexe und methodisch gut begründete Zugänge zu den Forschungsfragen, die in Kleingruppen bearbeitet wurden, entwickeln. Besonders gefreut hat mich die sehr hohe Konstanz in der Teilnahme sowie das große Engagement im Durchführen der Projekte, die dann stellenweise wieder in Präsenzbegegnungen im Forschungsfeld mündeten, für die wir kreative Lösungen entwickelt haben: Mit Kindern hat eine Gruppe unter anderem Fokusgruppen auf Spielplätzen gemacht, denn dort ließen sich die Eltern gleich um das Einverständnis bitten, die kindlichen Perspektiven waren weniger durch institutionelle Setzungen gerahmt und es gab genug aerosolfreie Luft zum Sprechen. Andere Forschungsgruppen haben anspruchsvolle Interviewtechniken in digitalen Medien erprobt, unter anderem auch narrative Interviews – mit großem Erfolg und vielen Lernmomenten, was praktische Forschung angeht. Eine digitale Postersession hat unser Semester abgeschlossen, das nun in zahlreichen empirischen Hausarbeiten eine Fortsetzung findet. Und wie erhofft, habe ich von einigen Forschungsgruppen auch bereits das ok, die Ergebnisse hier zu veröffentlichen. Ich tüftle noch an einem System zum zugangsgesteuerten Download, dann wird es nach meinem Urlaub hier die Poster zu bestaunen geben. Die realisierten Themen decken eine große Bandbreite ab, unter anderem:
- Chancen und Herausforderungen videogestützter Beratung
- Datingapps in der Pandemie
- Digitale Dinge in kindlichen Lebenswelten
- Digitale Ungleichheit bei Schulkindern
- Handlungspraktiken im Umgang mit digitalen Dingen bei Menschen mit einer sogenannten Behinderung
- Nutzung digitaler Medien in der stationären Jugendhilfe
Und vielleicht kann ich die eine oder andere Forschungsgruppe auch motivieren, hier einen Gastbeitrag zu den Erfahrungen in einem digitalen Forschungsseminar zu bloggen – bevor wir vieles von dem, was wir uns in pandemischen Zeiten hart erarbeitet haben, wieder vergessen. Das wäre schade, denn meine Hoffnung für die kommende Präsenznormalität ist, dass die funktionierenden digitalen Lehr-Lern-Praktiken mitgenommen werden können.