Derzeit bekomme ich sehr viel Post (Danke!) zum Konzept der sozialpädagogischen Digitalität und der zugehörigen Denkfigur von Doing Digitality. Einige Texte sind schon erschienen (hier und hier, und natürlich auf diesem Blog), weitere folgen. Da sich für mich dabei eine 20-jährige Beschäftigung mit digitalen Dingen im Kontext Sozialer Arbeit einlöst, liest sich manches in diesen Texten sehr knapp und vielleicht (zu) voraussetzungsvoll. Die Essenz des Ganzen ist im Grunde einfach: Es geht mir darum, in der Sozialen Arbeit einen theoretischen Kontrapunkt zur allgegenwärtigen Rede um Digitalisierung zu setzen. Digitalität ist dabei der begriffliche Gegenspieler zu Digitalisierung. Digitalität meint einen (alltags)kulturell bereits erreichten Zustand im Umgang mit und der Nutzung von digitalen Dingen. Und weil mein Erkenntnisinteresse ein genuin sozialpädagogisches ist, interessieren mich digitale Dinge und damit einhergehende Praktiken von Adressat:innen und Fachkräften unter der Perspektive von Bildung und Bewältigung – also eben sozialpädagogische Digitalität.
Aus diesen einfachen Überlegungen lassen sich dann Impulse zur weitergehenden Theoriearbeit, zum empirischen Zugang und der Gestaltung sozialpädagogischer Praxis ableiten. Es ist noch nicht so schön sortiert (kommt noch), aber folgende Punkte scheinen mir dabei wichtig:
- Solange wir nur von Digitalisierung Sozialer Arbeit reden, hält sich das Bild einer technik- und medienfernen Sozialen Arbeit, die wie ein immer müder werdender Esel den vermeintlich bereits digitalisierten Fortschrittskarotten aus anderen gesellschaftlichen Teilsystemen, allen voran der Wirtschaft, hinterherläuft.
- Digitalisierung als sprachlich fixierter Dauerprozess der Innovation erzeugt die Gefahr, den Umgang mit digitalen Dingen manageriell zu verflachen oder zu externalisieren. Bezogen auf die Zeitgeschichte Sozialer Arbeit droht nach der Einführung des „Sozialmanagements“ dann die Einführung des „Digitalisierungsmanagements“ – entgegen oder zumindest jenseits genuin sozialpädagogischer Überlegungen und Bedürfnisse.
- Adressat:innen und Fachkräfte nutzen bereits in ganz selbstverständlicher Weise digitale Dinge, durchaus auch in widerständigen Praktiken entgegen organisationaler und (vermeintlich) professioneller Intentionen (Datenschutz, Betonung von Gefahren). Diese lebensweltliche Nutzung ist bisher kaum gesehen, wissenschaftlich beschrieben und professionell-praktisch erweitert.
- Digitale Dinge – verstanden in einem umfassenden, praxistheoretischen Sinn – sind mehr als objektivierbare digitale Medien. Sie sind Hardware und Software, entfalten äußerst komplexe Eigendynamiken und müssen deshalb als wirkmächtige Aktand:innen, eventuell sogar als Akteur:innen verstanden werden.
- Die in der Lebenswelt vorhandenen digitalen Dinge (z.B. körpernahes Computing wie Smartphones, Smartwatches, (wohn)raumbezogene Geräte wie smarte Lautsprecher oder Ambient Assissted Living oder entscheidungsunterstützende Algorithmen jenseits der Bindung an spezifische Hardware) müssen eingebunden in die lebensweltlichen Praktiken von Adressat:innen und Fachkräften gesehen werden. Der Fokus von Digitalität zielt auf Praktiken im Sinne soziotechnischer Assemblagen und nicht auf einzelne digitale Objekte.
- Lebensweltliche Raumpraktiken mit und durch digitale Dinge sind nicht mehr durch eine Zwei-Welten-Theorie gedeckt, die getrennte kopräsent-analoge und virtuell-digitale Räume postuliert. Ein einseitiger Diskurs über Hybridisierungsnotwendigkeiten macht unsichtbar, dass viele Raumpraktiken bereits native relational-physisch-digitale Praktiken sind, die keiner Hybridisierung bedürfen.
- Digitalität und Digitalisierung als gleichzeitig ablaufende Teilprozesse ergeben ein Spannungsfeld, in dem digitale Dinge und zugehörige Handlungspraktiken beständig einer auf Dauer gestellten kulturellen Transformation unterliegen, in der digitale Praxen hervorgebracht, stabilisiert und irritiert werden: Doing Digitality lässt sich sowohl auf der Ebene sozialpädagogischer Mikrointeraktion als auch in organisationalen und institutionellen Mustern beobachten.
Lieber Marc,
danke für deinen Zwischenruf! Ich gehe damit absolut d’accord – schrecklich nur, dass sich auch im eigenen Sprech die lapidare Rede von “der Digitalisierung” so eingebürgert hat. Asche auf unser aller Haupt! 😉
Ich glaube wir müssen “die Digitalisierung” auch (wieder) marxistischer denken: ganz im Sinne von Sabine Pfeiffer “Digitalisierung als Distributivkraft” (https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5422-6/digitalisierung-als-distributivkraft/)…Damit wird zum einen der Konnex zum Manageriellen deutlicher, aber auch die Differenz zur Professionalität oder nochmal mit Sabine Pfeiffer gesprochen dem Arbeitsvermögen (https://www.sabine-pfeiffer.de/arbeitsvermoegen) Wenn nicht marxistisch, dann aber wenigstens gesellschaftstheoretisch (https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3957-5/datengesellschaft/)
Digitalität und Digitalisierung als “widersprüchliche Einheit” (frei nach Oevermann) – der Gedanke gefällt mir sehr…nicht nur deswegen bin ich höchst interessiert an deinen beiden genannten Texten …gerne mehr per PN
LG thomas
Ich formuliere das hier mal als Antwort auf Thomas, da ich da gut anschließen kann. Ich finde den Hinweis auf die Differenz von Digitalität und Digitalisierung sehr gelungen und gedanklich hilfreich. Bisher habe ich in meinen Formulierungen versucht diese Differenz mit dem Verweis auf die Lebenswelt einzufangen.
Zugleich scheint es mir für die Überlegungen zur Digitalität und Digitalisierung das angesprochene Spannungsfeld besonders bedeutsam zu sein. Ich bin gespannt auf die weiteren Überlegungen und Diskussionen.