Digitalisierung in der Daseinsvorsorge bedeutet meist, die personengebundene Ausstattung zu verbessern: Tablets für Schüler*innen, Zuschüsse für heimische Internetanschlüsse, Kurse zur Verbesserung der Nutzungskompetenzen, Ambient Assisted Living für vulnerable Zielgruppen etc.
Diesem personen- und austattungsgebundenem Fokus steht unser neues Forschungsprojekt diametral entgegen. STellaR steht für Stationäre Telepräsenzberatung im ländlichen Raum. Entwickelt, eingerichtet und evaluiert wird dabei ein System, das Videoberatungsräume in der öffentlichen Infrastruktur (z.B. in Familienzentren, kommunalen Behörden, Jugendhäusern etc.) vorsieht. In und mit diesen STellaR-Räumen können Adressat*innen Sozialer Arbeit in strukturschwachen Regionen spezialisierte Beratungsangebote nutzen, obwohl diese nicht physisch vor Ort sind. Die Beratung soll dabei hochimmersiv erlebbar sein und neben Videoübertragung auch die gemeinsame und zeitgleiche Bearbeitung physischer und digitaler Dokumente wie Anträge, Bescheide etc. umfassen.
Auf dieses Projekt freue ich mich als etwas nerdig angehauchter Sozialpädagoge besonders: Zunächst überwindet es austattungsbedingte Zugangshindernisse zu beraterischen Unterstützungsangeboten auf innovative Art: Adressat*innen müssen sich nicht erst in die Nutzung von Soft- und Hardware einarbeiten, um die “Schnittstelle” zur Onlineberatung erreichen zu können, und immer noch ist der heimische schnelle Internetanschluss auch gar nicht überall vorhanden. Sich bei einem der etablierten Onlineberatungsportale anzumelden, ist sicherlich für viele gut machbar – aber noch immer gibt es zahlreiche Menschen, die Onlinemedien nur wenig oder gar nicht nutzen oder zur Verfügung haben, z. B. Senior*innen, Kinder, oder Menschen mit einer sogenannten Behinderung. Für diese Menschen ist der Gang zu einem STellaR-Raum nichts anderes als das Aufsuchen einer normalen Beratungsstelle, die Technik vor Ort wird voraussetzungslos zu bedienen und narrensicher sein. Das Einlösen von mehr (Zugangs)gerechtigkeit durch digitale Technik ist also der konkrete Nutzen von STellaR.
Mindestens ebenso spannend wird für mich aber werden, was die Studien zur Nutzungspraxis dieser Technologie aus Sicht der Adressat*innen und Fachkräfte ergeben. Schließlich wird für die Soziale Arbeit mit STellaR zum ersten Mal in der Fläche erfahrbar, dass eine selbstverständliche Digitalität als Hybridisierung von physischen und digitalen Räumen existiert. Raum, Zeit und beraterische Begegnung stehen bei STellaR im Fokus, die digitale Technik wird nahezu unsichtbar und in gänzlich anderer Form als bisher genutzt. Anstatt verkleinerter, privatisierter Surrogatwelten auf kleinen Displays entstehen so neue Arten digital vermittelter Begegnungen in der kommunalen Unterstützungsstruktur. Neben den klassischen Beratungsstellen und der digitalen Beratung auf privaten Endgeräten entsteht so ein dritter Ort von Beratung in Form einer spezifischen Hybridisierung physischer und virtueller Räume.
Die Praktiken dieser hybriden Allmende zu erforschen, wird spannend werden. Mit Corona hat der STellaR-Antrag (gefördert durch das BMBF) übrigens nichts zu tun – dazu haben solche Projekte zu viel Vorlauf. Trotzdem komme ich auch unter dieser Perspektive nicht umhin darüber nachzudenken, wie sinnvoll es in pandemischen Zeiten sein könnte, ganz selbstverständlich in einen naheliegenden, öffentlichen Videoberatungsraum gehen zu können und dort beraterische Unterstützung zu erfahren. Kinderschutz, die Arbeit mit einsamen Hochaltrigen oder psychisch Erkrankten fallen mir da ein. Wer weiß also, was aus der Projektidee noch werden kann.
Bis dahin geht es jetzt aber erst einmal an der FH Bielefeld, der Uni Trier sowie den kooperierenden Praxiseinrichtungen mit der Entwicklungs- und Forschungsarbeit los.