Die meisten Hochschullehrenden in der Sozialpädagogik (und anderen Handlungswissenschaften mit unmittelbarem Berufsfeldbezug) kennen das Phänomen: Eine stattliche Anzahl von Studierenden geht bereits im Studium einer Teilzeitbeschäftigung in Einrichtungen der Sozialen Arbeit nach. Formal sind von Minijobs bis hin zu halben Stellen oder Verträgen als Werkstudent:in mit noch mehr Stundenumfang viele Möglichkeiten gegeben.weiterlesen
Nicht nur auf Twitter sind die Aussagen von Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit (CDU) zur Pflegeausbildung viral gegangen. Zu Recht haben viele Fachkräfte und mit Professionalisierung befasste Expert*innen darauf verwiesen, dass ein Downgrade von Eingangsvoraussetzungen keine geeignete Maßnahme ist, den Fachkräftemangel zu beheben.
An diesem Beispiel aus der Pflege lässt sich das Wiedererstarken einer Deprofessionalisierungssemantik schön ablesen, die in identischer Form und bei passendem Anlass auch für Erziehung und Bildung in Anschlag gebracht wird. Sie folgt dem einfachen Rezept, dass für das Tätigsein in Berufen im Humandienstleistungssektor weniger das Wissen, als vielmehr unspezifisch „menschliche“ Voraussetzungen wie Einfühlungsvermögen und Motivation entscheidend seien.
Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich mit der Professionalisierung solcher Arbeitsfelder beschäftigen. Warum ist das so? Eigentlich ist das einfach nachzuvollziehen: Aus der Forschung wissen wir, dass in diesen Berufen selbstverständlich oft eine hohe altruistische Eingangsmotivation zu Beginn der Ausbildung vorhanden ist – es sind eben „helfende“ Berufe, zu denen sich oft Menschen mit bestimmten Motivatinsbündeln hingezogen fühlen. Allerdings wissen wir aus der Forschung auch, dass gerade diese „weichen“ Faktoren der Berufswahl diejenigen sind, die schon am Anfang der Professionalisierung – in Fachschule und Studium – radikalen Transformationen unterliegen (für die Sozialpädagogik Bauer und Weinhardt 2016, Weinhardt 2014, 2015, 2016, 2017). Fast alle Fachkräfte vollziehen in der Ontogenese ihrer Professionalisierung die Evolution des Berufsfeldes nach: Man startet mit altruistischen, auch sozialromantischen Motiven des Helfen-Wollens der frühen ehrenamtlichen Wohlfahrtsdamen und dringt dann zum aktuellen wissenschaftlichen Kern der Sache vor. Die zugehörigen Prozesse sind anstrengend, werden oft als desillusionierend erlebt und fordern Lehrende und Lernende stark heraus. Am Ende entsteht – wenn alles gut geht – eine Professionalität, die durch fachliches Wissen als Strukturierungsmedium menschliche Begegnungen auf neue Weise möglich macht. Niemand will ja unfreundliche Fachkräfte in Pflege, Erziehung und Bildung. Aber nur wer genügend Wissen und dadurch Sicherheit hat, hat eben die Möglichkeit, es auch zugewandt zur Anwendung zu bringen. Wer dies nicht schafft und weiterhin im Modus naiven Helfens bleibt, kann keine gute Arbeit abliefern und wird früher oder später auch die Lust zur eigenen Weiterentwicklung verlieren, vielleicht sogar sarkastisch und aggressiv gegenüber den Personen werden, für die man zuständig ist.
Deshalb muss gelten: Wenn klar ist, dass Ausbildungen und Studiengänge auf komplexes Wissen und die zugehörige Professionalisierung abstellen, dann müssen die Zugangsvoraussetzungen hoch und nicht niedrig sein, um das angestrebte Nivau auch tatsächlich zu erreichen.
Solche Forderungen sind keine auf Ausschließung von Lerner*innen zielenden Überlegungen, sondern ergeben sich aus den Anforderungen der Sache heraus – zumal das Bildungssystem Übergänge bereithält, deren Ausbau im Kontext der vorliegenden Debatte sicherlich sinnvoller wäre als die Globalsenkung von Zulassungsstandards.
Und es ist geradezu ironisch, dass ein Land, das vor einer Dekade PISA-Pilgerfahrten in die nordeuropäischen Länder unternommen hat um festszustellen, dass Lehrer*innenbildung, Pflege- und Erziehungswesen dort ganz anders professionalisiert sind, nun solche Rückschritte macht. Diese haben ja immer wieder einmal Saison – als Exilschwabe sind mir auch noch die Versuche der alten BW-Landesregierung in Erinnerung, den neuen Sektor der Ganztagesbetreuung an der Schule mit ungelernten Fachkräften zu besetzen. Qualifikationsindikator damals: Frauen, die selbst bereits ein Kind im schulpflichtigen Alter großgezogen haben. Auch hier die Idee: Motivation und Empathie werden es schon richten.
Mir persönlich wäre es übrigens lieber, wenn mehr junge Menschen Humandienstleistungsberufe ergreifen würden, weil sie gut bezahlt sind, sich in interessanten Arbeitsstellen abspielen und man spannendes Know-How vermittelt bekommt.
Schließlich gibt es keinen Grund, Menschen, die sich in einem Ingenieursberuf z.B. für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt oder elegant entwickelte Produkte interessieren, weniger Motivation und Begeisterung zu unterstellen als angehenden Humandiensleister*innen. Und es gibt auch keinen Grund, sie so ungleich zu bezahlen.
Hochschulen – Unis und HAWen – sollen ihre Profile schärfen, sich regional vernetzen und im Zuge einer neuen Infragestellung von Wissenschaft auch unmittelbare Beiträge zum Gemeinwohl leisten. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden – diese Punkte wurden je nach Hochschulstandort und Fach schon immer mehr oder weniger erfüllt.
Mit dem Begriff der Third Mission – einer dritten Aufgabe neben Forschung und Lehre – haben solche Aktivitäten seit einiger Zeit nun mit einem Hochwertwort eine spezifische Aufwertung erfahren: Neben dem Austausch mit der relevanten Umwelt – Bürgern, der Zivilgesellschaft und Unternehmen – ist die Third Mission auch Währung im Profilierungswettkampf der Hochschulen untereinander geworden.
Neben der prinzipiellen Problematik, dem Wissenschaftsbetrieb schlichte Marktförmigkeit zu unterstellen, finden sich auch spezifische Problematiken für einzelne Fächergruppen. Eine davon sind diejenigen Fächer, die sich mit Sozialer Arbeit befassen.
Warum ist das so? Das wird unmittelbar ersichtlich, wenn man sich typische Third-Mission-Projekte anschaut: Beispielsweise wird eine Hochschule für Architektur und Gestaltung im Gemeinwesen tätig, um eine Flüchtlingsunterkunft im Dialog mit den Anwohnern zu entwerfen. Oder eine Professur, die sich mit mobilen Endgeräten befasst, arbeitet in einem Third-Mission-Projekt mit einer Schule für körperlich behinderte Menschen zusammen, um neue Soft- und Hardwarelösungen zu entwickeln.
Die Idee der Third Mission wird also deutlich: Es geht, salopp gesagt, um eine Art institutionalisiertes Ehrenamt, das Hochschulen erbringen und das dazu dient, neben den intendierten regionalen Effekten Studierenden sozialen Kompetenzen und Verantwortungsübernahme für gesellschaftliche Fragen zu vermitteln.
Soweit, so gut. Nur ist dieses Programm in der Sozialen Arbeit der Hauptgegenstand. Anwaltlich für Bedarfe und Bedürfnisse der von Ausgrenzung bedrohten Mitbürger*innen da zu sein, ist der Hauptzweck Sozialer Arbeit. Soziale Kompetenzen sind dabei keine neben dem eigentlichen Fach erworbenes Beiwerk, sondern in vielen Bereichen das hauptsächliche Veränderungswerkzeug – beispielsweise in der Erziehung, Begleitung und Beratung.
Bildet man also zu den oben genannten Beispielen eine konstrastierende Geschichte einer Third Mission Sozialer Arbeit, so kommt nur eines heraus: Soziale Arbeit. Sie hat schon immer auch mit Ehrenamtlichen gearbeitet, und sie bearbeitet, wo immer ihre Aufgaben die Gestaltung von Welt erfordern, diese im transdisziplinären Verbund unterschiedlicher Disziplinen und Praxisakteure, z.B. mit Architektur, Stadtplanung oder der Ingenieurswissenschaft.
Damit wird auch klar, dass eine schlichte Übertragung der Idee von Third Mission in der Sozialen Arbeit immer auch bedeuten kann: Deprofessionalisierung.