Angehende Lehrer*innen sind im Studium mit der komplexen Herausforderung konfrontiert, fachwissenschaftliches, fachdidaktisches und pädagogisches Wissen zu erwerben und auf dieser Basis Kompetenzen, professionsbezogene Überzeugungen, Einstellungen und Werte zu entwickeln. Neben der inhaltlichen Komplexität dieser Aufgabe sind auch die strukturellen Gegebenheiten herausfordernd – volle Lehrpläne, die Notwendigkeit sich nach dem BA gezielt für einen Master zu entscheiden und danach in das Referendariat zu starten oder eine berufliche Neuorientierung vorzunehmen.
Diese vielschichtige Ausgangslage für die Lern- und Bildungsprozesse angehender Lehrer*innen war der Startpunkt für unser ProfiL-Projekt, das im Rahmen der Tübingen School of Education (Leitung: Thorsten Bohl) angesiedelt ist und durch die BMBF Qualitätsoffensive Lehrerbildung gefördert wird.
Entwickelt haben wir hierfür ein professionsbezogenes Beratungsangebot, in dem Studierende in kleinen Gruppen und mit Hilfe qualifizierter externer Berater*innen ihre Lern- und Bildungsbedürfnisse reflektieren und in Form von fachlichen Entwicklungsaufgaben rekonstruieren und bearbeiten können. Eine aufwendige Begleitforschung auf der Ebene aggregierter Effektstärken dieses neuen Programmes, dem Geschehen in den Beratungsgruppen sowie ausgewählten Vertiefungen zu weiterführenden Fragen (z.B. Motive des Studienabbruchs- oder Wechsels) gehört zu ProfiL.
Nun liegen – durch die längsschnittliche Anlage des Projektes mit längerer Vorlaufzeit – die ersten Ergebnisse vor, die wir zusammen mit einem vertieften Einblick in das ProfiL-Konzept publizieren können. Neben den theoretischen Konzepten und ersten empirischen Befunden zeigen wir auch exemplarisches didaktisches Material zur Gestaltung der ProfiL-Gruppen – darauf wurden wir von vielen Kolleg*innen angesprochen.
Der Artikel wird in der kommenden Ausgabe der Zeitschrift „Herausforderung Lehrer_innenbildung – Zeitschrift zur Konzeption, Gestaltung und Diskussion“ erscheinen – Petra Bauer, Kathrin Kniep und ich freuen uns sehr.
Für mich ist ProfiL neben der Tatsache, dass ich mit der Beratungsforschung einen meiner Arbeitsschwerpunkte in die Domäne Lehrer*innenbildung einbringen darf, auch der unmittelbare Vergleich von Professionalisierungsprozessen in unterschiedlichen pädagogischen Handlungsfeldern (hier Sozialpädagogik vs. Lehramt) immer von Neuem aufschlussreich.
Zwei wichtige Punkte habe ich bereits aus unserem ProfiL-Projekt gelernt: Erstens bräuchte es ein Reflexions- und Beratungsangebot wie ProfiL auch für Sozialpädagog*innen (das hieße dann konsequent ProfiS), und zwar nach dem gleichen Konzept: Kleine Gruppen, durchgehend durch das gesamte Studium, querliegend zum Curriculum und als geschützter Raum jenseits von Bewertung und auf Basis einer gemäßigten Evidenzorientierung. Und zweitens wurde mir durch ProfiL noch einmal deutlich, dass sich erste Spuren von Chancen und Grenzen späterer multiprofessioneller Zusammenarbeit im Kontext Schule auch bereits im Studium abzeichnen. Es wäre darum reizvoll, ein solches Angebot auch als interdisziplinäres Konzept anzulegen, in dem angehende Sozialpädagog*innen und Lehrer*innen gemeinsam die Entstehung ihrer Professionalität auf der Basis von Strukturen des (zukünftigen) Berufsfeldes und den individuellen Motiven und Voraussetzungen reflektieren könnten. Dies wäre eine neue Schnittstelle, die Sozialpädagogik und Lehramt insgesamt bereichern könnte – sowohl auf der Ebene der Studierenden, aber auch für die Praxis der Wissensgenese in pädagogisch-handlungsorientierten Studiengängen an Hochschulen insgesamt, natürlich samt der zugehörigen Forschung.
Mehr zu ProfiL (Webseite, Vorträge, Materialien) gibt es hier.