Einleitung
Im Studium der Sozialpädagogik ist die Vermittlung konkreter Methoden und Techniken zentraler Bestandteil einer auf Handlungsbefähigung zielenden akademischen Ausbildung (Bolay et al. 2015). Die Hilfeform Beratung ist hierbei mehrfach bedeutsam (Bauer und Weinhardt 2016): Alle Sozialpädagog:innen nehmen in der beruflichen Praxis partiell Beratungsaufgaben wahr und nicht wenige Student:innen legen schon im Studium einen Schwerpunkt auf Beratung in ihrer spezialisierten Form, wie sie in der Beratungsstellenarbeit und im ASD prototypisch zu finden ist. Neben diesem unmittelbaren Gebrauchswert von Lehrangeboten ist Beratung didaktisch äußerst geeignet, um zentrale Probleme sozialpädagogischer Professionalität zugänglich zu machen (Becker-Lenz et al. 2013). Die Grenzen technologischer Herstellbarkeit von Hilfen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit zur Teilhabe an konsistenten Theoriediskursen, die zwischen sozialpädagogischer Hochabstraktion und der Gestaltungsnotwendigkeit konkreter Situationen vermitteln können, lässt sich an und durch Beratung gut zeigen (Weinhardt 2019). Nur so wird deutlich, dass Beratung ein spezifisches Gespräch darstellt, das über Techniken und Methoden hergestellt werden kann und muss, seine Qualität als sozialpädagogische Hilfe aber erst dann erhält, wenn nicht nur die bloße Anwendung von Gesprächsführungsregeln, sondern ihre Nutzung im Horizont von Bildung und Bewältigung Teil der zu entwickelnden Professionalität ist. An dieser Stelle bietet Beratung den in der Präsenzlehre oft ausgespielten Vorteil, dass sie in Form praktischer Übungen auch an der Universität und Hochschule partiell herstellbar ist: Rollenspiele, fortgeschrittene Simulationen und Demonstrationsgespräche durch Lehrende sind hierbei das Mittel der Wahl. Im Kontext der Vermittlung systemischer Beratung, die für sozialpädagogisches Denken besonders anschlussfähige Verfahrensweisen bereitstellt (Weinhardt 2016), kommt noch der Gebrauch vielfältiger metaphorischer Zugänge in den verschiedenen Formen der Aufstellungsarbeit hinzu (Levold und Wirsching 2014; Schlippe und Schweitzer 2014). In der Nutzung von Dingen (z. B. symbolischer Bodenanker) und Körpern, die im Raum positioniert, aufgesucht und abgeschritten werden, entstehen in diesen Aufstellungen materielle Repräsentationen mentaler Orte und zugehöriger Fühl- und Denkwege. Diese Verfahrensweisen bieten durch ihre konkrete Materialität eine hilfreiche Struktur zum Lernen von Beratung, die dann nicht im häufig als anstrengend erlebten Gespräch verbleiben muss, sondern permanent sensorische, motorische und emotionale Aktivierung in Ergänzung zum bloßen Nachdenken über die nächste Anschlussfrage bietet.
Durch die Pandemie wurden diese Routinen der Herstellung von Beratungsübungssituationen unterbrochen. Häufig waren solche Übungen schon immer sozialpädagogische Bückware (die jeder kennt, über die man aber nicht gerne akademisch spricht), und so sind sie nun im Zuge der Zwangsdigitalisierung fast vollständig aus der Lehre verschwunden. Die vorliegende Studie verfolgt in diesem Kontext zwei Ziele: Zum einen dokumentiert sie den konkreten Versuch, handlungsorientierte Beratungslehre systematisch digital zugänglich zu machen. Zum anderen ist die gewählte Form der Herstellung insofern ein erziehungswissenschaftlich interessanter Fall von Digitalität und Digitalisierung, weil metaphorische Techniken, nämlich die Tetralemma- und Timelinearbeit, zum Gegenstand gemacht werden und sich dieses Geschehen in einem komplexen, videogestützten Szenario hybrider Räume abspielt – an den privaten Lernorten der Studierenden und des Lehrenden und in der Videokonferenzsoftware der Lehrveranstaltung.
Der vorliegende, in Blogform fortgeschriebene Text dokumentiert die Durchführung und Auswertung dieser Unternehmung. Verbunden ist damit die Idee, niedrigschwellige und aktuelle Impulse für handlungsorientierte Hochschullehre im Kontext alltäglicher Digitalität zu generieren. Dieses Vorgehen steht dabei im gewollten Gegensatz zu aktuellen beraterischen Entwicklungen unter dem Vorzeichen forcierter Digitalisierung, in der mit virtuellen Avataren und dreidimensionalen Raumsimulationen Aufstellungen abgebildet werden, wobei eine methodisch unkontrollierte Erweiterung der bereits in den metaphorischen Techniken eingelagerten Homologisierung mentaler und physischer Räume erzwungen wird – the screen is not the territory.
Teilgenommen haben im Rahmen einer universitären Lehrveranstaltung zu Übergängen und Beratung N=26 Studierende des BA-Studiengangs Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Trier.1Die möglichen Selbstselektionseffekte zur Teilnahme an der Übung werden ausführlich in späteren Textteilen reflektiert. Nach der 90 Minuten umfassenden Lehreinheit haben n=22 dieser Studierenden einen anonymen Onlinefragebogen (ausgeliefert durch Unipark, EFS Version 2020) bearbeitet. Er ist die Grundlage einer explorativen Pilotstudie, in der folgende Aspekte erfasst wurden:
- digitale Teilhabepraxis an der Beratungsübung (Einschätzung der technischen Ausstattung und der zugehörigen Nutzungserfahrung aus der Eigen- und Fremdperspektive)
- Erfahrungen in der Beratungsübung (Rollenwahl, Durchführung, Raumgestaltung, besondere Ereignisse)
- Einschätzung von Chancen und Grenzen der hybriden Darreichungsform der Beratungsübung
- allgemeine Selbstwirksamkeit (Kurzskala ASKU, Beierlein et al. 2012)
- Technikbereitschaft (Kurzskala zur Technikbereitschaft; Neyer et al. 2016)
- soziodemographische Hintergrundvariablen (globale Vorerfahrung mit Beratung, Studienschwerpunkt, Fachsemester)
Didaktisches Konzept und Umsetzung [Teil 2]
Einschätzungen zum Beratungsüben [Teil 4]
Das Schreibkonzept sieht vor, den Text auch in den bereits veröffentlichten Teilen ständig zu aktualisieren.