Digitalität in der handlungsorientierten Lehre. Eine Pilotstudie in hybriden Räumen zur Vermittlung systemischer Timeline- und Tetralemmatechniken. [Teil 3: Teilnahmepraktiken]

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Was lässt sich entlang der empirischen Daten über die Teilnahmepraktiken der Studierenden sagen?1Technische Dokumentation: Der durch Unipark (EFS Version 2020) ausgelieferte Fragebogen wurde direkt nach Ende der Veranstaltung zur Verfügung gestellt. Der Rücklauf nach zweimaligem Nachfassen inkl. eines symbolischen Dankes (Süßigkeiten) zur Teilnahme betrug n=22 Fragebögen (85%), die in allen Pflichtfragen beantwortet waren, n=12 Studierende haben zusätzlich offene Angaben gemacht. Die Auswertung der Daten erfolgte durch SPSS (Version 26). Neben den bereits validierten Skalen zur allgemeinen Selbstwirksamkeit (Kurzskala ASKU, Beierlein et al. 2012) Technikbereitschaft (Kurzskala zur Technikbereitschaft; Neyer et al. 2016) wurden für die vorliegende Studie zwei weitere Kurzskalen aus je drei Items entwickelt, die durch ein fünftstufiges Antwortformat (1=stimmt gar nicht, 5=stimmt völlig)  dargeboten wurden. Diese erfassen die Zufriedenheit mit der eigenen technischen Ausstattung (ZTA-Selbst) bzw. der anderen Übungspartner:innen (ZTA-Partner:innen) während der Übung mit den Aspekten Kamera- und Tontechnik, Internetverbindung sowie technische Ausstattung insgesamt. Beide Skalen weisen entlang der Daten aus dem erstmaligen Einsatz eine zufriedenstellende bis gute Reliabilität auf (α .78 für ZTA-Selbst und .86 für ZTA-Partner:innen). Für die ASKU- und Technikbereitschaftskala wurden die Mittelwerte der je fünftstufigen Skalen entlang der Vorgaben der Originalautor:innen berechnet, für die Technikbereitsschaftsskala zusätzlich die drei Facetten Technikakzeptanz, Technikkompetenzüberzeugungen sowie Technikkontrollüberzeugungen. Die weiteren, für die vorliegende Studie entwickelten Items werden im hier vorliegenden explorativen Zugriff als Single-Item-Skalen zu spezifischen Aspekten der untersuchten Beratungsübung aufgefasst, sind jedoch prinzipiell durch das einheitliche Antwortformat auf einer fünfstufigen Skala in Replikationsstudien mit ausreichendem Stichprobenumfang für faktorenanalytische Verfahren einsetzbar. Für nominalskalierte Daten werden die Häufigkeiten angegeben, die sich, soweit nicht anders benannt, auf alle n=22 Fälle beziehen. Die Mehrzahl (68 %) studiert mit dem Studienschwerpunkt Sozialpädagogik, ein kleiner Teil (9 %) mit dem Schwerpunkt Organisationspädagogik, ein weiterer kleiner Teil war unentschlossen (9 %). Die meisten der Befragten haben die Lehrveranstaltung im dafür vorgesehenen 5. Semester absolviert (91 %), ein geringer Teil (je 5 %) im 7. bzw. 9. Semester. Zu diesem Bild passt, dass 32 % der Studierenden gar keine, 36 % wenig und weitere 32 % etwas Vorerfahrung mit Beratung angegeben haben, viel bzw. sehr viel Vorerfahrung wurde von niemandem angegeben.

Entsprechend den Vorgaben zur Kleingruppenarbeit bildet sich ab, dass die drei Rollen der Übung gleichmäßig besetzt waren, 36 % haben als Berater:innen geübt und je 32 % als Adressat:in oder Beobachter:in teilgenommen (Tab. eins). Erwartungskonform haben Studierende in der Berater:innenrolle etwas mehr Vorerfahrung angegeben.2Ein Signifikanztest auf Probe bleibt negativ.

Tabelle 1: Allgemeine Vorfahrung mit Beratung nach Übungsrollen, Angaben in Prozent.
  Berater:in Adressat:in Beobachter:in

Vor-
erfahrung

gar keine 14 43 43
wenig 50 25 25
etwas 43 29 29
viel
sehr viel

91 % der Befragten haben mit einem Notebook bzw. PC, 9 % mit einem Tablet und niemand mit einem Mobilfunkgerät an der Übung teilgenommen. Hierzu passt, dass ein nicht unerheblicher Teil der Studierenden (insgesamt 46 %) externe Zusatzhardware genutzt hat, z. B. eine Webcam (29 %), Lautsprecher (24 %), Mikrofon (18 %), Kopfhörer (18 %) bzw. ein Headset (12 %).3Aufgrund eines technischen Fehlers im Fragebogen sind diese Angaben möglicherweise mit einer Unsicherheit behaftet, weil ein kleiner Teil der Befragten diese Frage nicht unbeantwortet lassen konnte.

Die Internetverbindung wurde in der Mehrzahl der Fälle (77 %) über eine DSL/Kabel-Flatrate hergestellt, 14 % der Studierenden nutzten einen DSL/Kabel-Volumentarif und nur ein geringer Teil (je 5 %) war mit einer Mobilfunk-Flatrate bzw. einem Mobilfunk-Volumentarif im Netz unterwegs.

Mit der eigenen Technikausstattung, gemessen mit der neu konstruierten Skala ZTA-Selbst (Zufriedenheit mit der eigenen Technikausstattung), waren die Studierenden tendenziell zufriedener als mit der Technikausstattung der anderen Kleingruppenteilnehmer:innen, gemessen auf der neu konstruierten Skala ZTA-Partner:innen (Tab. zwei), wobei sich dieses Bild auch differenziert nach den unterschiedlichen Rollen konsistent zeigt.4Ein Signifikanztest auf Probe (ANOVA) zur Überprüfung von Differenzen zwischen den drei Rollen bleibt für beide Skalen negativ

Tabelle 2: Statistik der ZTA-Selbst- und ZTA-Partner:innenskalen
  M SD
ZTA-Selbst 4.2 1.0
ZTA-Partner:innen 3.7 1.0

Bezogen auf die generelle Technikbereitschaft (Tab. drei), gemessen mit der TB-Skala, zeigt sich auf der Gesamtskala ein mittlerer Zustimmungswert, der niedriger als in der Validierungsstichprobe der Skalenautor:innen ausfällt.5Signifikanztest auf Probe t(21) = 3.5; p = .002 Dieses Bild setzt sich auch auf den Facetten Technikakzeptanz6Signifikanztest auf Probe t(21) = 3.0; p = .006, Technikkompetenzüberzeugungen 7Signifikanztest auf Probe  t(21) = 2.1; p = .05 sowie den Technikkontrollüberzeugungen 8Signifikanztest auf Probe mit noch tendenziell signifikantem Ergebnis t(21) = 1.9; p = .07 fort.

Tabelle 3: Statistik der Technikbereitschaft im Vergleich zu Referenzwerten
  Übungsgruppe Referenzwert
  M SD M SD
Technikbereitschaft gesamt 3.3 .5 3.7 .6
Technikakzeptanz 2.6 1.0 3.3 1.0
Technikkompetenzüberzeugung 3.8 .8 4.2 .8
Technikkontrollüberzeugungen 3.4 .8 3.8 .7

Eine Differenzierung nach Rollen (Tab. vier) zeigt, dass die Technikbereitschaft insgesamt bei den Adressat:innen am höchsten und bei den Beobachter:innen am niedrigsten ausgeprägt war und Unterschiede zwischen den Übungsrollen an einigen Stellen mehr als eine Standardabweichung umfassen.9Ein Signifikanztest auf Probe (ANOVA) zur Überprüfung von Differenzen zwischen den drei Rollen wird für die Gesamtskala positiv F(2, 19) = 7.6, p = .004 und differenziert im post-hoc-Test (Q nach Ryan-Einot-Gabriel-Welsch) zwischen den Untergruppen Beobachter:innen und Berater:innen/Adressat:innen, die drei Facetten verfehlen die 5 %-Irrtumswahrscheinlichkeit nur knapp, F(2, 19) = 2.8, p = .09; F(2, 19) = 3.5, p = .05; F(2, 19) = 2.9, p = .08      

Tabelle 4: Statistik der Technikbereitschaft nach Rollen
  Berater:innen Adressat:innen Beobachter:innen
M SD M SD M SD
Technikbereitschaft gesamt 3.3 .5 3.7 .4 2.8 .4
Technikakzeptanz 2.7 1.0 3.2 .8 2.0 .9
Technikkompetenzüberzeugung 4.1 .6 4.1 .9 3.3 .5
Technikkontrollüberzeugungen 3.3 .5 4.0 .8 3.1 .8

Einer praxistheoretischen Lesart von Digitalität als soziotechnische Assemblage im Sinne eines Gefüges unterschiedlicher Entitäten (Latour 2005) folgend, lassen sich die Teilnahmepraktiken der Studierenden anhand der empirischen Daten in einem ersten Zugriff als heterogene Bündel begreifen, in die Hardwareausstattung, Zufriedenheit mit der eigenen und fremden Technik, Technikkontrollüberzeugungen und differenzierte Übungsrollen eingehen. Dabei bilden sich klar erkennbare Unterscheidungen (z. B. nach gewählten Rollen) und ein insgesamt eher geringes Maß an genereller Technikbereitschaft heraus. Gemessen an der Tatsache, dass es sich bei den teilnehmenden Studierenden bezüglich des Lerngegenstandes um unerfahrene Teilnehmer:innen handelt, wird der soziotechnisch herausfordernde Charakter des Beratungsübens in hybriden Räumen bereits an dieser Stelle deutlich. Herausfordernd und Unsicherheit erzeugend ist dann nicht nur das Beratungsüben an sich, sondern auch die Herstellung der zugehörigen hybriden Räume. Dass diese Herstellungsprozesse ganz unterschiedlich ausfallen können, zeigen die zwei Fragen zum Umgang mit der hybriden Mehrfachstruktur der Übungsräume (Tab. fünf). Sowohl Adressat:innen als auch Berater:innen hatten die Möglichkeit, entlang der vorbereiteten Bodenfläche mit Papier und Seil die Übung am heimischen Arbeitsplatz tatsächlich aufzubauen (die Instruktionen im Vorfeld sind in Teil 2 beschrieben), wobei zwischen Aufbau (z.B. zur Veranschaulichung) und körperlicher Nutzung (z.B. zum Mitvollzug durch Abschreiten) weitere Differenzen sichtbar werden (Tab. sechs).10Die fehlenden Angaben in Tab. fünf und sechs resultieren durch die Arbeitsweise einer Kleingruppe, die mehrere Durchgänge der Übungen absolviert hat und dabei jeweils unterschiedliche Vorgehensweisen wählte.

Tabelle 5: Raumgestaltung im hybriden Setting, Item: Der Raum wurde mit den Materialien (Bodenanker, Timelineseil) gestaltet, Angaben in Prozent
durch den/die Berater:in 32
durch den/die Adressat:in 41
durch beide 23
k. A. 5

 

Tabelle 6: Raumnutzung im hybriden Setting, Item: Die Positionen im Raum (Bodenanker, Timelineseil) wurden im Raum aufgesucht/abgeschritten, Angaben in Prozent
durch den/die Berater:in 18
durch den/die Adressat:in 41
durch beide 27
k. A. 14

Nur kursorisch kann an dieser Stelle erwähnt werden, dass die beobachteten Differenzen bei der Herstellung und Nutzung hybrider Raumanordnungen in der Aufstellungsarbeit unterschiedlich interpretiert werden können. Denkbar sind sie als Konsequenz des komplexen Lernarrangements (indem z.B. das parallele Aufstellen und Abschreiten als zu aufwendig oder störend empfunden wird) oder als Resultat didaktischer Überlegungen (z.B. in Form einer überlegten Zeigestruktur auf den jeweils eigenen oder fremden Raum von Berater:innen und Adressat:innen). 

Einleitung [Teil 1]

Didaktisches Konzept und Umsetzung [Teil 2]

Teilnahmepraktiken [Teil 3]

Einschätzungen zum Beratungsüben [Teil 4]

Diskussion [Teil 5]

Das Schreibkonzept sieht vor, den Text auch in den bereits veröffentlichten Teilen ständig zu aktualisieren.

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